Ausgabe 01/2016
Da stockt der Atem
Aus alten Lehrbüchern der Ökonomie konnte man lernen, dass manche Dinge einen Gebrauchs- und doch keinen Tauschwert haben, zum Beispiel Luft und Wasser. Beide seien in der Natur unbegrenzt vorhanden und kein Ergebnis menschlicher Arbeit. Was das Wasser betrifft, ist die Behauptung längst überholt. Auf vielen Erdflecken ist Trinkwasser ein knappes Gut geworden. Die Versorgung wird industrialisiert, sie hat also einen Preis. Die Idee, es gebe ein Menschenrecht auf Wasser, nannte der Verwaltungsratspräsident von Nestlé "extremistisch". Auch deutsche Experten behaupten, dass allein die Gewinnabsicht der Versorger unseren Durst stillen könne. Wie jedes Lebensmittel ist Wasser demnach eine Ware. Nur noch die Luft ist frei. Doch selbst das ändert sich.
Vor hundert Jahren besorgte sich Marcel Duchamp ein leeres Fläschchen, versah es mit der Beschriftung "Air de Paris" und deklarierte es zum Kunstwerk. Da die Idee anregend war, aus Luft Wert zu schöpfen, wurde das Prozedere vielfach nachgeahmt. In den Geschenkläden der Welt werden Flaschen von Berliner oder New Yorker Luft angeboten. Ebenfalls als Gag begann das kanadische Unternehmen "Vitality Air", Luft aus den Rocky Mountains zu vermarkten. Bald wurde aber das Produkt von Smog geplagten Chinesen nachgefragt. Jetzt boomt das Geschäft mit abgefüllter frischer Luft (eine Flasche kostet 20 Dollar).
Guillaume Paoli
Nur Extremisten werden einwenden, es gebe ein Menschenrecht auf Atmung.