Ausgabe 01/2016
Die Geschichte ist zu heiß
2015 wurden 774 türkische Journalistinnen und Journalisten aus politischen Gründen entlassen, 236 sind wegen Beleidigung des Staatspräsidenten angeklagt, weitere wegen angeblichen Aufrufs zum Terror. Laut Regierung sitzen derzeit 67 in Gefängnissen. In dem südosteuropäischen Land ist die Pressefreiheit massiv bedroht
Im Newsroom von Cumhuriyet (Republik), deren Chefredakteur Can Dündar derzeit im Hochsicherheitsgefängnis von Silivri inhaftiert ist. Rechts Murat Sabuncu, der Dündar vertritt
Ein kalter Wind weht über die verschneiten Felder um die riesige Haftanstalt von Silivri mit ihren hohen Betonmauern. Von Zeit zu Zeit werden Besucher an Sandsacksperren von schwer bewaffneten Gendarmen kontrolliert. In einiger Entfernung sieht man die gelb gestrichenen, modernen Blocks des Hochsicherheitsgefängnisses, gut anderthalb Autostunden westlich vom Zentrum Istanbuls.
Vor dem Eingang stehen zwei junge Leute, die Gesichter rot von der Kälte. In ihren Händen halten sie die aktuelle Ausgabe der regierungskritischen Tageszeitung Cumhuriyet (Republik). "Unsere Kollegen von Cumhuriyet und anderen Medien wurden rechtswidrig eingesperrt", sagt die zierliche Aysegül Kalayci. Ihr Kollege Mustafa Kerem Erol fügt hinzu: "Wir stehen hier für die Pressefreiheit."
Die beiden Reporter der kleinen "Freien Zeitung" aus der Stadt Kocaeli im Osten Istanbuls sind vier Stunden mit dem Bus nach Silivri gefahren. Täglich wechseln sich hier Journalistinnen und Journalisten bei der Mahnwache für inhaftierte Kollegen ab. Die Aktion begann, nachdem Can Dündar und Erdem Gül, zwei prominente türkische Journalisten der Zeitung Cumhuriyet, Ende November verhaftet wurden, weil sie Fotos eines Waffentransports gedruckt hatten, mit dem der türkische Geheimdienst MIT angeblich islamistische Rebellen in Syrien belieferte. Die Staatsanwaltschaft hat sie wegen Spionage und Terrorpropaganda angeklagt und fordert lebenslange Haft.
Die Fotos erschienen kurz vor den Parlamentswahlen im Juni 2015 und erzürnten den Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan dermaßen, dass er im Fernsehen gegen Dündar wütete: "Dieser Journalist wird dafür einen hohen Preis zahlen." Verhaftet wurde der 54-Jährige wenige Tage, nachdem die Journalistenorganisation "Reporter ohne Grenzen" Cumhuriyet wegen der mutigen Berichte als "Medium des Jahres" ausgezeichnet hatte.
"Can hat nichts anderes gemacht als ganz normalen Journalismus", sagt Murat Sabuncu, der Nachrichtenchef von Cumhuriyet, 46 Jahre und ein lebhafter Mann mit graumeliertem Haar, der in Abwesenheit Dündars das Blatt aus dessen Büro im fünften Stock des Redaktionshauses leitet. Die Vorwürfe seien bereits dreimal geändert worden. "Das ist lächerlich."
Cumhuriyet gehört einer 1924 gegründeten Stiftung und ist eine der wenigen wirtschaftlich unabhängigen Zeitungen in der Türkei. Mit einer Auflage von 55.000 eher klein, ist das linksliberale Blatt im Internet ein Riese. "Online stehen wir unter den zehn ersten Nachrichtenseiten der Türkei", sagt Sabuncu. In der bewegten Geschichte der Zeitung wurden Redakteure und Kolumnisten ermordet, es gab Publikationssperren. "Jetzt sind unsere Leute im Gefängnis, und wir bekommen fast keine Anzeigen mehr, weil Firmen, die inserieren wollen, bedroht werden."
War Cumhuriyet bis vor zwei Jahren als verschlafenes Zentralorgan linker Kemalisten bekannt, so hat Can Dündar sie zu einer modernen Zeitung gemacht, die sich brisanten Themen widmet: Korruptions- und Umweltskandalen, dem Völkermord an den Armeniern, dem Bürgerkrieg im kurdischen Südosten. "Wir werden deshalb verfolgt wie kaum ein anderes Medium", sagt Sabuncu. "Als unsere Anwälte sagten, die Waffentransport-Geschichte ist zu heiß, die bringt euch ins Gefängnis, erwiderten wir: Das ist eine wichtige Nachricht, also drucken wir sie."
Krieg gegen die Medien
Er glaubt, dass die Regierung einen regelrechten Krieg gegen die freien Medien führe, wie es ihn nicht einmal nach dem Militärputsch von 1980 gegeben habe. "Wir nähern uns faschistischen Verhältnissen", sagt er. "Jede Kritik an der Regierung wird damit beantwortet, dass man den Kritiker verleumdet, ihn entlässt oder gleich wegen angeblicher Terrorunterstützung anklagt."
Rund 30 Anklagen laufen derzeit gegen Cumhuriyet-Redakteure, meist wegen "Beleidigung des Staatspräsidenten". Das ist der neue Hebel, mit dem die Justiz seit Erdogans Wahl zum Präsidenten 2014 gegen jene vorgeht, die Kritik an ihm zu üben wagen. Nach Angaben von "Reporter ohne Grenzen" wurde das Instrument im vergangenen Jahr gegen 236 Journalisten angewendet.
Eine von ihnen ist Aysun Yazici. Die 26-jährige Istanbulerin, Gerichtsreporterin der unabhängigen Zeitung Taraf (Haltung), schrieb im Dezember 2013 mehrere Artikel über die schwerste Korruptionsaffäre der Türkei, die auch das unmittelbare Umfeld Erdogans betraf. "Ich habe einfach über allgemein zugängliche Tatsachen berichtet, um die Öffentlichkeit zu informieren", sagt die unkompliziert wirkende junge Frau. Erdogan, sein Sohn Bilal und andere Prominente haben sie persönlich wegen Beleidigung und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verklagt. Ihr drohen bis zu elf Jahre Haft.
Der 26-jährigen Gerichtsreporterin Aysun Yazici drohen 11 Jahre Haft
Aysun Yazici kann nachts nicht mehr richtig schlafen. Jeden Morgen hat sie Angst, dass die Polizei kommt und sie mitnimmt. Sie spricht von Selbstzensur, von Hoffnungslosigkeit und davon, dass die Kollegen "sich ducken und vorsichtig werden". Die junge Frau macht das wütend. "Ironischerweise erhöht der Druck meine Leidenschaft für den Beruf", sagt sie. Viele türkische Journalisten erzählen ähnliche Geschichten. Sie fürchten sich zu schreiben, was sie schreiben wollen. Werden sie überhaupt zu staatlichen Pressekonferenzen zugelassen, trauen sie sich nicht, kritische Fragen zu stellen. In allen Redaktionen wachen Anwälte darüber, der Regierung keinen Grund zum Einschreiten zu liefern.
Bei Taraf arbeitete auch Mehmet Baransu, einer der bekanntesten Journalisten des Landes. Als er der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP 2010 mit seinen Enthüllungen half, die Macht des Militärs zu brechen, war er Erdogans erklärter Liebling. Als aber auch er über die Korruptionsaffäre schrieb, wurde er zum Feind erklärt und verhaftet. Wird er verurteilt, muss er mit bis zu 52 Jahren Haft rechnen. "Sie haben ihm in Silivri anfangs nicht einmal einen Löffel zum Essen gegeben", sagt Aysun Yazici über ihren Kollegen. "Er musste wochenlang mithilfe einer Untertasse essen."
Vorwurf: Aufstachelung der Öffentlichkeit
Mehmet Baransu ist ein Anhänger der weltweiten Gülen-Bewegung. Das Netzwerk des in den USA lebenden liberalen Islampredigers Fethullah Gülen war jahrelang ein enger Verbündeter der AKP. Doch seit der Korruptionsaffäre nennt Erdogan die Bewegung "Fethullah-Gülen-Terror-Organisation" und wirft ihr vor, hinter den Ermittlungen zu stecken. Baransu und der ebenfalls Gülen-nahe Chefredakteur des Nachrichtensenders Samanyolu TV, Hidayet Karaca, sitzen in Silivri inzwischen seit über einem Jahr ohne Anklage in Untersuchungshaft.
Im selben Block inhaftiert war bis vor kurzem Cevheri Güven, der 38-jährige Chefredakteur des regierungskritischen Istanbuler Nachrichtenmagazins Nokta (Punkt). "Man fragt sich die ganze Zeit, was habe ich falsch gemacht?", sagt er in seinem schmucklosen Büro auf der europäischen Seite Istanbuls. "Und ich habe mir gesagt: Nichts." Einen Tag nach der erneuten Parlamentsneuwahl vom 1. November, die Erdogans AKP triumphal gewann, erschien Nokta mit dem Titel: "Montag 2. November 2015: Beginn des Bürgerkriegs in der Türkei". Noch am Vormittag kam die Polizei. Der Staatsanwalt beschuldigte Güven und einen Mitarbeiter der "Aufstachelung der Öffentlichkeit zum bewaffneten Konflikt". Dafür soll er für 20 Jahre ins Gefängnis.
Auf internationale Kritik an der Repression gegen die Medien antwortet die Regierung in Ankara stets, kein Journalist werde wegen seiner Arbeit eingesperrt. Darüber kann Güven nur den Kopf schütteln. "Alle Beweise, die wir vor Gericht präsentiert bekommen, beziehen sich ausschließlich auf unsere journalistische Tätigkeit." Und warum macht der Staat das seiner Meinung nach? "Weil er enorm viel zu verbergen hat."
Nach Angaben der größten türkischen Oppositionspartei CHP wurden im vergangenen Jahr 774 Journalisten aus politischen Gründen entlassen. In keinem Land Europas sind so viele Journalisten angeklagt, meist aufgrund der berüchtigten Terrorparagraphen, und nirgends sind so viele inhaftiert: Vizepremier Numan Kurtulmus nannte Ende Januar offiziell die Zahl von 67 Journalisten. Die meisten sind Kurden, die für linke kurdische Medien wie die Zeitung Özgür Gündem (Freie Agenda) arbeiten. Im Pressefreiheitsindex von "Reporter ohne Grenzen" sackte die Türkei im letzten Jahr auf Platz 149 von 180 Ländern ab. Trotzdem behauptet Erdogan: "Nirgendwo ist die Presse freier als in der Türkei.".
Frappierende Parallelen
"Das ist natürlich lächerlich", sagt der Medienwissenschaftler Adem Ayten, 37, von der Istanbuler Aydin-Universität. "Pressefreiheit gibt es in der Türkei nicht, obwohl wir eine liberale Verfassung und liberale Pressegesetze haben." Ayten vergleicht die gegenwärtige Repression mit der zweiten Hälfte der 1950er Jahre. Damals regierte in der Türkei mit der Demokratischen Partei (DP) des Ministerpräsidenten Adnan Menderes schon einmal eine islamistische Partei. "Die Parallelen sind frappierend", sagt Ayten. "Als klar wurde, dass Menderes‘ Politik gescheitert war, ließ er restriktive Pressegesetze verabschieden und oppositionelle Zeitungen schließen, zahlreiche Journalisten wurden ins Gefängnis geworfen."
Besonders bedenklich findet Ayten, dass sich nun auch die größte Mediengruppe des Landes Erdogans Willen unterwerfe. Der Unternehmer Aydin Dogan, einer der reichsten Männer des Landes, betreibt die bedeutenden TV-Sender CNN Türk und Kanal D sowie die zweitgrößte türkische Tageszeitung Hürriyet (Freiheit) mit 400.000 Exemplaren Auflage. "Bis zur Wahl haben die Dogan-Medien die Regierung noch scharf kritisiert, jetzt unterstützen sie sie", sagt Ayten. "Sie entlassen sogar Kolumnisten, weil regierungsnahe Medien das fordern."
Dogan hat das warnende Beispiel der Koza-Ipek-Mediengruppe vor Augen, der die Verbindung ihres Eigentümers Akin Ipek mit dem Gülen-Netzwerk zum Verhängnis wurde. Vier Tage vor der Novemberwahl marschierte die Polizei vor seinem Istanbuler Medienhaus auf, um die Fernsehsender Bugün (Heute) TV und Kanaltürk sowie die konservativ-liberalen Zeitungen Bugün und Millet (Nation) wegen angeblicher finanzieller Unregelmäßigkeiten und Terrorunterstützung unter staatliche Zwangsverwaltung zu stellen.
V. li. n. re.: Aysegül Kalayci und Mustafa Kerem während ihrer Mahnwache für inhaftierte Kollegen +++ Redaktionskonferenz beim Nachrichtenmagazin Nokta +++ Tarik Toros ist wieder auf Sendung +++ Cevheri Güven in seinem Büro
Die Erstürmung des Sendezentrums übertrug der Nachrichtenkanal Bugün TV stundenlang live. Dann schaltete der Verwalter Bild und Ton bei laufenden Kameras ab. "Sie hatten zunächst Hemmungen, in einer Live-Sendung Gewalt anzuwenden", sagt Tarik Toros, der ehemalige Chefredakteur des Senders. Der 44-jährige Journalist erinnert sich, wie Polizisten ihm schließlich das Mikrofon aus der Hand rissen. "Die Regierung wollte unbedingt noch vor den Wahlen kritische Sender zum Schweigen bringen." Heute ist der Sender praktisch bedeutungslos, genau wie die Zeitung Bugün. Sie wurde auf Regierungspropaganda umgepolt, woraufhin ihre Auflage um 95 Prozent absackte.
Tarik Toros sitzt in einem weitgehend kahlen Raum im zweiten Stock eines älteren Bürohauses des Istanbuler Geschäftsviertels Levent auf einem Ledersofa. Über ihm hängt ein Flachbildschirm, auf dem das aktuelle Programm von Can Erzincan TV läuft, bis zum Sturm auf Bugün TV ein regionaler Spartensender. Über Satellit strahlte er türkische Volksmusik aus für die zentralanatolische Stadt Erzincan, aus der sein Gründer Recep Aktas stammt, ein 55-jähriger früherer Grundschullehrer, der sich damit einen Lebenstraum erfüllte.
"Wir zeigen, was CNN Türk nicht zeigt"
"Als ich sah, was mit Bugün TV passierte, habe ich einen Aufruf an die Fernsehleute veröffentlicht: Kommt zu mir, hier könnt ihr weitermachen!", sagt der Mann mit dem anatolischen Schnauzer und der Gebets- kette in der Hand. "Ich konnte die Ungerechtigkeit einfach nicht mit ansehen." Tarik Toros und zehn weitere Bugün-TV-Macher nahmen sein Angebot an. Sie bauten das Studio eigenhändig um. Schon eine Woche nach der Razzia bei Bugün TV war der Moderator wieder auf Sendung. "Wir zeigen, was CNN Türk nicht zeigt", sagt Toros. "Kämpfe im Südosten, Interviews mit der Opposition." Er nickt seinem Senderchef Aktas zu, lässt sich kurz schminken und tritt dann ins Scheinwerferlicht. "Liebe Zuschauer, ich begrüße Sie zu den Nachrichten des Tages."
Auch den Machern der Bugün-Zeitung gewährte Recep Aktas Asyl. In ehemaligen Abstellräumen produzieren jetzt 40 gefeuerte Bugün-Journalisten und -Layouter gemeinsam die neue Zeitung Özgür Düsünce (Freie Meinung). "Einer von Erdogans Beratern rief mich an: Was machst Du da? Diese Leute kritisieren den Präsidenten!", erzählt Recep Aktas. "Ich habe dem gesagt: Wir tun nichts Illegales oder Falsches. Wir sind freie Medien, da darf sich keiner einmischen!" Er ist ein Mann mit Prinzipien.
Als die Zeitungsleute die ersten Ausgaben ihres neuen Blattes publizierten, rückte die Aufstandspolizei dort an, wo man die Druckerei vermutete. In Istanbul-Yenibosna, dem modernen Redaktionshaus der Feza-Mediengruppe, die mit der größten türkischen Tageszeitung Zaman das publizistische Flaggschiff der Gülen-Bewegung herausgibt. Das inzwischen oppositionelle Blatt wird auch von Erdogan-Wählern gelesen, weil es konservative und islamische Werte vertritt. "Am Abend der letzten drei Wahlen sammelte sich jeweils ein Mob von AKP-Anhängern vor unserem Tor und versuchte, das Haus zu stürmen", erzählt die Chefredakteurin des englischsprachigen Schwesterblattes Today's Zaman, Sevgi Akarcesme, in ihrem Büro. Nur der schwere Stahlzaun mit rasiermesserscharfen Bewehrungen um das fünfstöckige Gebäude stoppte die Angreifer.
Chefredakteurin Sevgi Akarcesme ist auf Bewährung
Today's Zaman hat rund 30 Mitarbeiter und spielt seine Stärken vor allem im Internet aus; die türkischsprachige Zaman hatte im letzten Sommer noch eine Million Auflage, ist jetzt aber auf 600.000 abgerutscht. "Erdogan hat die Bürger öffentlich aufgefordert, Zaman nicht mehr zu lesen", sagt Sevgi Akarcesme. Sie ist derzeit die einzige Frau an der Spitze eines überregionalen Mediums in der Türkei. Sie leitet die englischsprachige Tageszeitung seit Dezember, als der frühere Chefredakteur Bülent Kenes zurücktrat, weil der Druck auf ihn zu stark geworden war. Mehr als 20 Gerichtsverfahren sind gegen Kenes anhängig, meist als Unterstützer der "Gülen-Terrororganisation".
Auf dem Schleudersitz
Jetzt sitzt die 37-jährige Frau auf seinem Schleudersitz. Eine anderthalbjährige Freiheitsstrafe auf Bewährung wurde bereits gegen sie verhängt, wegen eines Twittereintrags, durch den sich der Regierungschef Davutoglu beleidigt fühlte. Doch Akarcesme gibt sich unbeeindruckt. "Ich habe mich für den Job entschieden, weil ich ein Beispiel geben wollte", sagt sie. "Die Gefahr, dass sie uns dichtmachen, ist real, aber wir arbeiten weiter wie gewohnt."
Und die Solidarität unter den Journalistinnen und Journalisten wächst. Viele Linke und Liberale haben zwar noch Probleme, sich mit den Kollegen von Zaman zu solidarisieren, weil die Gülen-nahen Medien sich früher an Hexenjagden auf verfolgte Journalisten beteiligt hätten. Doch Zaman-Mitarbeiter nehmen inzwischen regelmäßig an den Mahnwachen in Silivri teil. Sevgi Akarcesme sagt, leider habe die Europäische Union seit der Flüchtlingskrise jedes Interesse an den Menschenrechten und der Pressefreiheit in der Türkei verloren. "Aber letztlich lautet die Frage: Will die türkische Bevölkerung die Demokratie verteidigen oder nicht?"
Die Lokaljournalisten Aysegül Kalayci und Mustafa Kerem Erol sind nach fünf Stunden Mahnwache vor dem Gefängnis von Silivri ziemlich durchgefroren. Auch in ihrer Redaktion in Kocaeli habe sich der Druck seit der Novemberwahl enorm erhöht, sagt Erol. Der junge Reporter blickt auf den riesigen Gefängniskomplex und sagt: "Es ist schon klar, dass unsere Aktion hier nicht viel ändert, dafür bedarf es einer größeren Bewegung. Aber wir müssen dafür einstehen, unabhängige Journalisten zu sein. Als Zeichen gegen die zunehmende Dunkelheit in diesem Land."
Aysun Yazici kann nachts nicht mehr richtig schlafen. Jeden Morgen hat sie Angst, dass die Polizei kommt und sie mitnimmt. Sie spricht von Selbstzensur, von Hoffnungslosigkeit