Ausgabe 01/2016
Einfach ausgetrickst
Wie eine Krake will das Freihandelsabkommen CETA Rechte vor allem der Beschäftigten schlucken. Der Widerstand wächst
Mit einer Serie von "Freihandelsverträgen" wollen die führenden Konzerne und die Regierungen des Westens ihre Vorherrschaft noch weiter ausbauen. Zwischen den USA und elf pazifischen Staaten wurde TPP (Trans-Pacific Partnership), die Transpazifische Partnerschaft zu Ende verhandelt, seit Mitte November 2015 ist der Vertrag in der rechtlichen Prüfung. Auch das Abkommen CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement), ein umfassendes Wirtschafts- und Handelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Kanada, ist ausverhandelt. Die Verhandlungen über TTIP, das Transatlantische Freihandelsabkommen, zwischen der EU und den USA laufen noch.
In Europa geht es derzeit vor allem um CETA: Der Vertragstext liegt vor, bereits seit September 2014, und soll 2016 ratifiziert werden. Während noch nicht bekannt ist, wie im TTIP mit den Arbeitsrechten umgegangen werden soll, ist das bei CETA nachzulesen. Kapitel 24 ist den Arbeitsrechten gewidmet.
Täuschung mit den ILO-Normen
Es fängt scheinbar gut an: Die Verhandlungspartner sollen sich an die Normen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) halten. Grundlage ist die "ILO-Erklärung über die fundamentalen Prinzipien und Arbeitsrechte von 1998". Fünf ILO-Kern-Normen werden kurz benannt: Recht auf Vereinigungsfreiheit und auf kollektive Tarifverträge; Abschaffung aller Formen von Zwangs- und Pflichtarbeit; Abschaffung von Kinderarbeit; Abschaffung von Diskriminierungen in Hinsicht auf Beschäftigung und Beruf.
Doch so gut und eindeutig sich das anhört - es ist eine trickreiche Täuschung, aus mehreren Gründen. Auf dem Weltgipfel für soziale Entwicklung 1995 in Kopenhagen einigten sich die Staats- und Regierungschefs auf diese Prinzipien und Rechte. Allerdings ließen sie von den acht Kern-Normen der ILO drei einfach weg. So fehlt etwa die Kern-Norm "gleicher Lohn für gleiche Arbeit von Mann und Frau".
Man wolle, so hieß es, angesichts der Globalisierung auf "die Vielfalt der Verhältnisse jedes Landes achten", wo viele ILO-Normen nicht ratifiziert worden sind. Herausgekommen ist ein "Mindestsozialstandard für alle". Und 1998 übernahm die ILO-Vollversammlung die Erklärung, leider. Sie erlaubt es somit Staaten, sich auf die ILO zu berufen, auch wenn sie diese Normen gar nicht ratifiziert haben und sich nicht an die Ausführungsbestimmungen halten.
Arbeitsrechte entschärft
Die ILO-Originalnormen enthalten jeweils eine Reihe von Ausführungsbestimmungen - diese fehlen in der "Erklärung von 1998" und im CETA-Text. Zum Beispiel:
Beim "Recht auf Vereinigungsfreiheit (Koalitionsfreiheit) der Beschäftigten in unabhängigen Gewerkschaften" heißt es im ILO-Original in den Ausführungsbestimmungen: Der Staat darf dieses Recht nicht durch innerstaatliche Gesetzgebung behindern. Beim "Recht auf kollektiv verhandelte Tarifverträge" heißt es in der ILO-Originalnorm: Die Beschäftigung eines Arbeitnehmers darf nicht davon abhängig gemacht werden, ob er Gewerkschaftsmitglied ist, und auch, dass Arbeitgeber keine abhängigen ("gelben") Arbeitnehmerorganisationen unterstützen dürfen.
Die ILO-Normen werden in Europa zusätzlich dadurch entschärft, dass die EU formell die ILO-Normen nicht ratifiziert hat. Das haben nur die Einzelstaaten getan. Als alleiniger Verhandlungspartner bei CETA, TTIP und TISA, dem Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen, braucht sich die Europäische Kommission deshalb, schon rein rechtlich gesehen, gar nicht an die ILO-Normen zu halten. Und die EU und die Troika aus Europäischer Zentralbank, Internationalem Währungsfonds IWF und EU-Kommission setzen bei den Kürzungsauflagen Tarifverträge außer Kraft und schwächen Gewerkschaften. Von den acht ILO-Kernnormen haben die USA sechs nicht ratifiziert, darunter die zwei genannten; die USA behalten sich zum Beispiel das Recht vor, dass ihre Einzelstaaten Gewerkschaftsrechte einschränken dürfen.
177 Normen fehlen ganz
Doch die Trickserei geht noch weiter. Erstens sind in der Erklärung von 1998 nicht die vier Verwaltungs-Normen enthalten, die das Handeln der Arbeits-Aufsichtsbehörden regeln. Und zweitens: In der Erklärung sind die 177 sogenannten technischen Normen nicht enthalten. Die regeln wesentliche Einzelrechte wie etwa das Recht auf Kündigungsschutz allgemein sowie auch für Schwangere und Behinderte; das Recht auf bezahlten Urlaub; das Recht auf Kranken-, Arbeitslosigkeits-, Arbeitsunfähigkeits- und Renten-Versicherung; das Recht auf Schutz vor Gefahren am Arbeitsplatz (chemische Stoffe, Strahlungen, Lärm, Erschütterungen); das Recht auf Entschädigung bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheit; das Recht auf geregelte Arbeitszeiten, Pausen und Nachtarbeit; das Recht auf geregelte Leiharbeit; Rechte für Haushaltshilfen, indigene Arbeiter und Arbeitsmigranten; Rechte und Pflichten von privaten Arbeitsvermittlern. Der TTIP-Verhandlungspartner USA hat von den 177 technischen Normen nur elf ratifiziert, darunter keine der soeben genannten, die EU-Staaten im Durchschnitt etwa 80.
Alle diese technischen ILO-Normen gehören nicht zur Erklärung von 1998. Sie werden bei CETA selektiv und allgemein zusammengefasst: Jeder Staat solle Gesundheit und Sicherheit bei der Arbeit gewährleisten, gegen Berufsunfälle und Krankheiten vorsorgen sowie für "ein akzeptables Minimum an Arbeitsstandards sorgen, auch für solche Lohnabhängige, die nicht durch kollektive Tarifverträge geschützt" sind. "Akzeptables Minimum": Das ist reichlich unbestimmt, mit Spielraum nach unten. Und wer bestimmt, was akzeptabel ist? Heutzutage müssen Millionen Beschäftigte Arbeitsbedingungen und Löhne akzeptieren, weil sie erpresst werden.
Drei Viertel des CETA-Kapitels 24 sind der "Kooperation" der "Arbeiter und ihrer Vertretungen" (es heißt nicht: der Gewerkschaften) mit Arbeitgebern und dem Staat gewidmet. Dazu soll eine neue Bürokratie mit Kontaktbüros, Expertengruppen und Regierungsgesprächen eingerichtet werden. Für sie sind in anderen Kapiteln des Abkommens Verfahrensregeln festgelegt.
Nicht lösbare Konflikte
Die gemeinsame neue Bürokratie soll Kooperationsprogramme - Fortbildungen, Konferenzen - organisieren und die Einhaltung der verschwommenen Regeln überwachen. Für Konflikte ist ein umständliches Berichts- und Prüfungssystem mit genauen Zeitplänen ausgetüftelt worden. Aber nirgends ist auch nur in Andeutungen davon die Rede, Formen der Mitbestimmung zu stärken und für ein gerechtes Arbeitsgerichts-System zu sorgen. Im Fall von nicht lösbaren Konflikten ist der "Zugang zu professionellen Dienstleistern, Einigungs- und Mediationsstellen" vorgesehen. Zusätzlich enthält CETA ohnehin die privaten Schiedsgerichte (Kapitel 33): Hier dürfen Investoren klagen, wenn sie sich durch staatliche Maßnahmen geschädigt fühlen - aber niemand sonst hat hier ein Klagerecht, auch nicht Arbeitnehmer und Gewerkschaften.
Zu Beginn des Arbeitsrechts-Kapitels heißt es: Internationaler Handel "kann zu Vollbeschäftigung und anständiger Arbeit beitragen". "Anständige Arbeit" ist ein rechtlich unbestimmter Begriff, der von Arbeitgebern neuerdings gern verwandt wird. Doch die Multis und Regierungen, die CETA, TISA und TTIP vorantreiben, tun bekanntlich das Gegenteil. Arbeitslosigkeit und unanständige Arbeit waren in der EU noch nie so verbreitet wie heute. Auch in den Unternehmen, an denen der deutsche Staat beteiligt ist, bei Post, Bahn, Lufthansa, Telekom, Fraport, werden unanständige Arbeitsverhältnisse ausgebaut und es wird kein Beitrag zur Vollbeschäftigung geleistet. Soll mit den Freihandelsverträgen plötzlich das Gegenteil möglich sein?
In Artikel 6 des Arbeitsrechtskapitels heißt es: Die Verhandlungspartner sollen für Transparenz sorgen und die "öffentliche Debatte über die Arbeitsrechte ermutigen". Da können wir uns auf die EU und die Bundesregierung wohl nicht verlassen. Das müssen wir schon selber tun.
"Akzeptables Minimum": Das ist reichlich unbestimmt, mit Spielraum nach unten. Und wer bestimmt, was akzeptabel ist? Heutzutage müssen Millionen Beschäftigte Arbeitsbedingungen und Löhne akzeptieren, weil sie erpresst werden