Digitale Technik wirkt sich auch auf die Abläufe im Handel und die Arbeit der Beschäftigten dort aus. Sei es in der Personalsteuerung, an den Kassen oder bei der Anprobe. Mit der deutschen Geschäftsleitung des Textilfilialisten H&M verhandelt ver.di zurzeit über einen Digitalisierungstarifvertrag. Dieser soll die Mitarbeiter*innen unter anderem vor einer Abwertung ihrer Tätigkeiten, vor Arbeitsverdichtung und ausufernden Kontrollen durch den Technikeinsatz schützen.

Die Risiken im Blick

"Wir wollen mit diesem Tarifvertrag vorbildliche Standards setzen", sagt Damiano Quinto, der zuständige ver.di-Sekretär aus dem Bundesfachbereich Handel. "Technik soll Beschäftigte unterstützen, statt sie zu belasten oder gar zu ersetzen!" Ende Mai hat ver.di mit H&M in der vierten Verhandlungsrunde ein Eckpunktepapier über die Schwerpunkte für den Tarifvertrag mit dem Arbeitgeber vereinbart. Beide Seiten tauschten sich auch über die Beteiligung der Beschäftigten beim Thema Technikeinsatz aus.

Digitale Technik soll aus ver.di-Sicht vor allem gute und gesundheitsfördernde Arbeit ermöglichen. Um herauszufinden, wie sich der Einsatz neuer Technik im Alltag auswirkt, wird sie zunächst in Pilotfilialen getestet und – wenn nötig – verbessert. Mithilfe einer Checkliste sollen die Beschäftigten die eingesetzten technischen Geräte bewerten können.

Wie wichtig es ist, die Gestaltung von Technik und den Einsatz digitaler Technik sowie künstlicher Intelligenz im Handel tarifvertraglich zu regeln, zeigte der Fachvortrag des Sozialwissenschaftlers Dr. Heiner Köhnen vom Internationalen Bildungsnetzwerk "tie" beim ver.di-Landesfachbereichsvorstand Handel Nordrhein-Westfalen bereits im vergangenen November. Die Digitalisierung sei Teil einer grundlegenden Umgestaltung des Handels auf allen Ebenen, so Köhnen. Durch mehr Technikeinsatz könne Arbeit verdichtet, die Art der Tätigkeiten massiv verändert werden.

Schon heute gebe es Algorithmen, die die Abläufe in den Verkaufsfilialen vereinheitlichen. Es sei möglich, den Personaleinsatz zu optimieren und die Warenwirtschaft zentral zu steuern. Moderne Funkchips (RFID), Roboter, Selbstzahlerkassen, digitale Anprobeassistenz und vieles mehr existierten längst. Würden diese und weitere Systeme nicht mitbestimmt gestaltet und kämen sie unreguliert zum Einsatz, so würde die menschliche Arbeitskraft abgewertet, da sich die Beschäftigten an die Technik anpassen müssten, anstatt umgekehrt, meint der Wissenschaftler. Außerdem ermögliche die digitale Technik nahezu unerschöpfliche Kontrollmöglichkeiten.

Die Beschäftigten hätten dagegen andere Vorstellungen von ihrer Arbeit im Handel. "Sie wollen kompetent beraten, kreativ und autonom arbeiten", so Köhnen. Wichtig seien zudem gesundheitsförderliche Arbeitsbedingungen, gute Zusammenarbeit, angemessene Bezahlung und ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Arbeit und Freizeit. "Das alles sollte in entsprechenden Digitalisierungs- bzw. Zukunftstarifverträgen geregelt werden." Solche tarifvertraglichen Regelungen möchte ver.di nicht nur bei H&M durchsetzen, auch Ikea und Esprit sind dazu aufgefordert.

Was die Beschäftigten bei H&M wollen

Die H&M-Beschäftigten hatten bereits zu Beginn der Verhandlungen über einen Digitalisierungstarifvertrag ihre zentralen Ziele formuliert: Danach soll Technik mitbestimmt gestaltet sowie ihr Einsatz, Sinn und Zweck definiert werden. "Technik bei H&M soll dienen und nutzen, zudem keine Kolleg*innen ersetzen. Bei der Entwicklung und Einführung von Technik gelten feste Spielregeln. Die Kolleg*innen sollen ihre Arbeit wieder als sinnhaft erleben. Wir wollen gemeinsam den stationären Modehandel bei H&M erhalten." Um die Kund*innen gut beraten zu können und damit den stationären Handel vom Online-Geschäft positiv abzuheben sei mehr statt weniger Personal nötig.