Ausgabe 02/2016
Luftgitarre in Afghanistan
Altmeister Barry Levinson siedelt seine skurrile Culture-Clash-Komödie am Kriegsschauplatz Afghanistan an. Dort liefern sich regionale Warlords erbitterte Gefechte um jedes Dorf, während im Schlepptau der US-Armee gerissene Geschäftemacher das große Geld verdienen. Ausgerechnet hier entdeckt der alternde Rock-Manager Richie Lanz (Bill Murray), der noch nie einen wirklichen Star unter Vertrag hatte, eine fantastische Sängerin.
Aus Geldnot hatte sich der verzweifelte Branchenveteran Richie überreden lassen, mit seiner letzten Künstlerin Ronnie die dort stationierten US-Truppen zu unterhalten. Und Richie macht gute Miene zum bösen Spiel. Doch sein Zugpferd Ronnie ergreift samt seinem Geld und Pass die Flucht. Der ewige Verlierer wittert trotzdem Morgenluft und seine vielleicht letzte Chance, ein echtes Talent zu entdecken. Nur leider strandet er abgebrannt in Kabul. Und sein zukünftiger Star Salima (Leem Lubany) ist eine junge Muslima, die davon träumt, in "Afghanistan sucht den Super-Star" aufzutreten. Probleme sind vorprogrammiert.
Denn in Kabul regieren die Waffen. Das Leben gleicht einem Tanz auf dem Pulverfass, den Barry Levinson mit satirisch-zynischem Humor hervorragend choreografiert. Verzweifelt setzt der arme Richie auf das einzige Geschick, das er besitzt, nämlich sich durchzulavieren. Mit dieser Kunst verweist der charmante Dampfplauderer, der sich sogar angesichts von Gewehrmündungen auf seine Schlagfertigkeit verlassen kann, selbst den von Bruce Willis brillant gespielten Haudegen Bombay in die zweite Reihe. Wenn Richie dann im Kreis der Dorf-Paschtunen eigenwillig den Deep-Purple-Song Smoke on the Water samt Luftgitarre, zum Besten gibt, ist das wirklich ein Kulturschock.
Schließlich beschwört die schwarze Komödie musikalisch die glorreiche Ära der Rock- und Folkmusik mit Liedern von Bob Dylan und Cat Stevens herauf. Sobald die junge Salima Peace Train anstimmt, zeigt sich, wie einmalig diese Musik ist, die hier eindringlich an eine amerikanisch-afghanischen Versöhnung appelliert. Natürlich richtet Levinson einen kritischen Blick auf die dubiose Rolle der USA in diesem Konflikt. Gleichzeitig huldigt sein Plädoyer für Toleranz und Frieden dem wilden, freien Geist der 1970er Jahre. Ein gelungener Spagat zwischen schräg, romantisch und politisch, der zudem der Moderne in der Konfrontation mit der Tradition Hoffnung gibt. Luitgard Koch
USA 2015. R: Barry Levinson. D: Bill Murray, Kate Hudson, Bruce Willis, Zooey Deschanel, Scott Caan, Danny McBrice, Taylor Kinney, Leem Lubany u. a. 106 Min., Kinostart: 24.3.2016
Freeheld
Eine riskante nächtliche Drogenfestnahme, das muss ein Thriller sein. Doch der Film wandelt sich zur Lovestory zwischen der Polizistin (Julianne Moore) und einer Automechanikerin (Ellen Page). Ein Häuschen mit Garten wird angezahlt und gemeinsam renoviert. Wenn Detective Laurel Hester nur nicht so panisch wäre, was ihr Coming out als Lesbe in Ocean County, New Jersey angeht. Doch die beiden Frauen entscheiden sich für ihren Mut und die Unterzeichnung der Partnerschaftsurkunde im Rathaus. Die Lungenkrebsdiagnose zerstört dann nicht nur die Planung eines langen Lebens zu zweit. Die Stadtväter weigern sich, den Pensionsanspruch der nun todkrank glatzköpfigen, lesbischen Polizistin auf ihre große Liebe zu übertragen, wie es bei jeder heterosexuellen Ehe üblich ist. Basierend auf dem echten Präzedenzfall beginnt der Kampf um die Gleichstellung. Freeheld wird zum Politdrama. Unterstützung gibt es zunächst nur von einem ernsten Polizeikollegen (Michael Shannon) und einem lebenslustigen, jüdisch-schwulen Aktivisten: Steve Carrell in seiner aberwitzigsten Rolle. Jutta Vahrson
USA 2015, R: Peter Sollett. D: Julianne Moore, Ellen Page, Michael Shannon, Steve Carrell, Josh Charles, Luke Grimes, 103 Min., Kinostart: 7.4.2016
Ixcanul: Träume am Fuße des Vulkans
Der erste Film aus Guatemala, der es bis in den Wettbewerb der Berlinale schaffte, kommt trotz der einlullend exotischen Szenerie schnell zum Punkt. Die 17-jährige Tochter einer Maya-Familie, Handlanger auf einer Kaffeeplantage in farbenfroher Gebirgsszenerie, soll in die Heirat mit dem Vorarbeiter gezwungen werden, der die Familie in der Hand hat. Doch Gehorsamkeit gehört nicht zu ihren Zukunftsplänen. Lieber vergnügt sie sich an einem Kneipenabend mit dem gleichaltrigen Pflücker, und wird natürlich schwanger. Was vor den streng traditionellen Eltern und dem Bräutigam verheimlicht werden muss. Fremdartige Abtreibungsrituale gefährden auch diese junge Frau, fast eine Variante von Goethes Gretchen in den Anden. Regisseur und Drehbuchautor Jayro Bustamante, Jahrgang 1977, wuchs selbst in dieser Region der Kakchiquel Maya auf. In Ixcanul, was Vulkan heißt, inszeniert er nicht nur die rauchend lavadunklen Hänge seiner Heimat, sondern auch deren gesellschaftliche Veränderungen. Seine Protagonistin ist daher keine naive Eingeborene, sondern so willensstark wie widerspenstig. Jutta Vahrson
GT 2015, R: Jayro Bustamente. D: María Mercedes Coroy, María Telon, Manuel Antún, 93 Min., Kinostart: 31.3.2016
Trumbo
Gefängnis, Geldstrafen und Berufsverbot: Dalton Trumbo hatte unter der McCarthy-Ära schwer zu leiden. Mehrere Jahre stand der erfolgreiche Autor als Kommunist und damit als einer der vermeintlich abtrünnigen "Hollywood Ten" auf der schwarzen Liste. Das düstere Kapitel der Traumfabrik bildet jedoch nur die Folie für einen weniger politischen als vielmehr amüsanten Film, er setzt dem Ausnahmetalent ein liebenswertes Denkmal. Trumbo lässt sich nicht unterkriegen, unter Pseudonymen schreibt er weiter, zwei seiner Drehbücher gewinnen sogar einen Oscar. Bryan Cranston gibt den Helden in einer oscarreifen Vorstellung jedoch nicht nur als einen selbstbewussten Helden, sondern vielmehr auch als einen witzigen, schlagfertigen und exzentrischen Lebenskünstler. Seine Skripte schreibt er, ausgerüstet mit Zigaretten, Whiskey und Amphetaminen, in der Badewanne. Nur vergisst der Egoist über seinen Arbeitseifer seine Familie, bis er auf dem Weg zur Rehabilitation Verbündete findet. Unterdessen bescheren ein süffisanter Christian Berkel als Otto Preminger und Helen Mirren als bissige Klatsch-Kolumnistin vergnügliche Szenen. Kirsten Liese
USA 2016. R: Jay Roach. D: Bryan Cranston, Diane Lane, David James Elliott, Helen Mirren, u.a. 125 Min., Start: 10.3.2016