Zu allen Zeiten sind die Machthaber dieser Welt nicht zimperlich umgegangen mit Untertanen, von denen sie sich "beleidigt" fühlten. Und damit hinsichtlich jedweder Majestätsbeleidigung weltweit nichts anbrennt, stellen sie bis heute gleich auch ihre Amtsbrüder in anderen Ländern unter Schutz. So hieß es anno 1871 zu Kaisers Zeiten im Strafgesetzbuch des Deutschen Reichs (StGB), Paragraf 103: "Wer sich gegen den Landesherrn oder den Regenten eines nicht zum Deutschen Reich gehörenden Staats einer Beleidigung schuldig macht, wird mit Gefängniß von einer Woche bis zu zwei Jahren oder mit Festungshaft von gleicher Dauer bestraft ...".

Und was bis zu der Sache Erdogan ·/· Böhmermann selbst unter Juristen weithin unbekannt war: Auch im demokratischen Bundesdeutschland des Jahres 2016 wird bestraft, wer Ihro auswärtigen Majestät zu nahe tritt, und zwar noch doller als vor 150 Jahren. Die Hausnummer 103 ist die gleiche geblieben, und der erste Absatz lautet heutzutage: "Wer ein ausländisches Staatsoberhaupt [...] beleidigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe, im Falle der verleumderischen Beleidigung mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft."

Die Wellen, die seit den ersten April-Tagen der Fall Erdogan schlägt (der übrigens im eigenen Land laut www.heise.de wegen Beleidigung mehr als 2.000 Anzeigen gegen Landsleute zu laufen hat), löst bei deutschen Sozialdemokraten prompt Aktionismus aus: Fraktionschef Oppermann will den Paragrafen 103 noch in diesem Monat abschaffen, aber nicht etwa zum Schutz von Kollegen wie Jan Böhmermann und der Meinungsfreiheit, sondern um der Bundesregierung die "unzumutbare Entscheidung" über eine Genehmigung der Strafverfolgung des Satirikers zu ersparen.

Da sollte der Gesetzgeber sich aber vielleicht doch ein bisschen mehr Zeit nehmen. Es gibt nämlich im geltenden Strafgesetzbuch noch eine Reihe weiterer alter Zöpfe, die es abzuschneiden gälte: zum Beispiel die "Verletzung von Flaggen und Hoheitszeichen ausländischer Staaten", etwa wenn jemand "beschimpfenden Unfug daran verübt" (§ 104). Wussten Sie, dass es sowas gibt?

Henrik Müller