Die Politik der neuen Regierung hat in wenigen Wochen schwere soziale Konflikte im Land provoziert

24 Stunden Generalstreik am 24. Februar in Buenos Aires, organisiert von der Gewerkschaft der Staatsangestellten

100 Tage nach dem Amtsantritt von Präsident Mauricio Macri in Argentinien haben mehrere Gewerkschaftsverbände in einem gemeinsamen Positionspapier vor einem sozialpolitischen Rollback gewarnt. Die Dachverbände CTA, CTA-A und die Gewerkschaft der Angestellten des Staates (ATE) beklagen in dem 60-seitigen Report eine Vielzahl neoliberaler Maßnahmen, die unter Umständen sogar geltende sozialpolitische Vereinbarungen verletzen. Die Arbeitnehmervertretungen forderten vor diesem Hintergrund die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) auf, die Rechte von Arbeitern und Angestellten unter der neoliberalen Regierung von Macri zu garantieren.

Streiks und Proteste

Vorausgegangen waren dem Bericht massive und an Schärfe gewinnende Auseinandersetzungen zwischen der neuen Staatsführung auf der einen Seite und Gewerkschaften und Menschenrechtsorganisationen auf der anderen Seite. Seit Macri im Dezember das Präsidentenamt von seiner Amtsvorgängerin Cristina Fernández de Kirchner übernommen hat, spitzt sich der Konflikt immer weiter zu. Per Dekret benannte Macri neue, ihm nahestehende Richter beim Obersten Gerichtshof, er ging gegen kritische Medien vor und verfügte Massenentlassungen im Staatsdienst. Die Folge: mehrere massive Streik- und Protestbewegungen. Zur ersten landesweiten Arbeitsniederlegung kam es Ende Februar. Ende März dann riefen die Gewerkschaften erneut zu einem Streik auf.

Massive Kritik an Massenentlassungen

Auf Kritik stoßen vor allem die Massenentlassungen in Staat und Verwaltung. Fast täglich wird in argentinischen Medien über neue Kündigungen berichtet, oft von hunderten Angestellten zugleich. Pablo Micheli, Vorsitzender des Gewerkschaftsdachverbandes CTA-A, geht von bis zu 100.000 Entlassungen im staatlichen und privaten Bereich aus. Wo Vertreter der neuen Regierung von einer "notwendigen Verschlankung des Staates" sprechen, sehen die Betroffenen eine politisch motivierte Säuberung von Regierungs- und Verwaltungsinstitutionen. Macri steht für das aggressiv neoliberale Lager, seine peronistische Amtsvorgängerin Fernández de Kirchner, die in den Institutionen noch über viel Rückhalt verfügt, hatte vor allem mit Blick auf die Schuldenkrise 2001 deutlich stärker auf sozialpolitische Maßnahmen gesetzt. Der Streit zwischen beiden Konzepten wird durchaus auch über die Grenzen Argentiniens hinaus in Lateinamerika ausgefochten, zumal die Mitte-Links-Regierungen auch in Venezuela und Brasilien in die Defensive geraten sind.

"Die aktuelle Regierung hat seit dem Amtsantritt am 10. Dezember 2015 eine Reihe wirtschafts-, finanz- und sozialpolitischer Maßnahmen durchgesetzt, die in ihrer Gesamtheit betrachtet auf einen Plan zur systematischen Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums hinweisen", heißt es in der Analyse der Gewerkschaftsverbände zur Lage in Argentinien. Die Arbeitnehmervertretungen befürchten in der Folge "schwere Verletzungen sozialpolitischer Vereinbarungen, darunter auch Richtlinien der ILO". Tatsächlich hatte ILO-Chef Guy Ryder schon im Dezember, wenige Tage nach Amtsantritt von Macri, zu einem Dialog der Sozialpartner aufgerufen. Der Appell verhallte ungehört.

Der lateinamerikanische Fernsehsender Telesur zählte neun Maßnahmen der neuen Regierung auf, die für die Rückkehr des Neoliberalismus in Argentinien stehen. Neben den Massenentlassungen gehörten dazu die Streichung von Steuern auf den Verkauf von Eisenerzen, Vorzugsbedingungen für Großunternehmen und Preiserhöhungen bei Strom und Gas. Hinzu kommt eine Vereinbarung mit US-amerikanischen Hedgefonds, gegen deren Forderungen sich die Vorgängerregierung vehement gewehrt hatte und die den Staat voraussichtlich 12,5 Milliarden US-Dollar kostet. Die kritische Berichterstattung des Fernsehsenders Telesur hatte Folgen: Die Regierung in Buenos Aires zog sich aus dem Betreiberkreis zurück und schaltete den Sender ab.

Freie Hand gegen Demos

Auf die zunehmenden Proteste von Gewerkschaften und sozialen Bewegungen reagierte die Macri-Führung mit einem verschärften Demonstrationsrecht. Die Sicherheitsministerin Patricia Bullrich gab im Februar einen Maßnahmenkatalog "zur Wahrung der öffentlichen Ordnung" bekannt. Die Sicherheitskräfte bekommen damit weitgehend freie Hand, um gegen Demonstrationen vorzugehen. Menschenrechtsorganisationen warnten umgehend vor einer Einschränkung der Grundrechte, die nach der Militärdiktatur (1976-1983) mühsam erkämpft werden mussten.

Nicht nur in Argentinien, auch im Ausland wird die Entwicklung mit großer Sorge gesehen. Ein Dutzend Argentinien-Experten aus Europa hat sich in einem gemeinsamen Aufruf bestürzt über die zunehmende staatliche Gewalt in dem südamerikanischen Land gezeigt. Unter Macri drohe ein Klima wie unter der Militärdiktatur, schreiben die Autoren von Universitäten in den Niederlanden, der Schweiz, Großbritannien, Deutschland, Österreich, Schweden und Frankreich.

"Als akademisch Forschende beschäftigen wir uns seit Jahrzehnten mit der Geschichte und Kultur Argentiniens. Wir sind bestürzt, empört, besorgt. Während wir diese Zeilen schreiben, schießt die Polizei mit Gummigeschossen auf Kinder und Jugendliche", heißt es in dem Aufruf, der auf dem deutsch-Schweizer Internetportal Geschichte der Gegenwart erschien. Weiter heißt es dort, in nur wenigen Wochen habe die Regierung Macri "den größten Rückschritt in Menschenrechtsfragen seit dem Ende der Militärdiktatur in Argentinien im Jahr 1983 eingeleitet".