Dada, Schnaps und Literatur

Eva Weissweiler: Notre Dame de Dada

Luise Straus-Ernst - das dramatische Leben der ersten Frau von Max Ernst

Ihr Leben währte 51 Jahre, es begann 1893 in Köln, es endete 1944 in Auschwitz - und nur vier Jahre davon haben, wenn überhaupt, in der Kunstgeschichte überlebt: Von 1918 bis 1922 war Luise Straus-Ernst mit dem weltberühmten Maler Max Ernst verheiratet und gebar ihm 1920 sein einziges Kind, Sohn Jimmy. Sie war die "Mutter" der traumatisiert aus dem ersten Weltkrieg heimgekehrten mittellosen Künstler, die den Dadaismus kreierten, sorgte für Schnaps, Zigaretten und Geld, unter anderem als Strumpfverkäuferin. Dabei war die von ihrem ersten Mann - der sie nur ein Mal und mit falsch geschriebenem Nachnamen in seiner Autobiografie erwähnt- und seinen Rezipienten marginalisierte Tochter eines jüdischen Hutfabrikanten eine der ersten promovierten Kunsthistorikerinnen Deutschlands und eine der renommiertesten Journalistinnen der Weimarer Republik, mit einem weit über Kunstkritiken hinausreichenden Themenspektrum und hochmodernem Stil.

Eva Weissweiler, Biografin vor allem herausragender Frauenpersönlichkeiten wie Tussy Marx oder Clara Schumann mit ausgewiesener Begabung für die Einfühlung in die Atmosphäre historischer Szenarien, hat das Leben der lebensfrohen kölschen Jüdin in den USA, Frankreich und der Schweiz recherchiert - mühsam genug, da Luise zahlreiche Pseudonyme verwendete und für zahllose Zeitschriften schrieb. Im französischen Exil, in das sie ab 1933 mangels Aufträgen gehen musste, schrieb sie neben journalistischen Artikeln in der anspruchsvollen Exilpresse auch Romane und Kurzgeschichten: Ein literarisches Werk, das nur in Fragmenten überliefert ist, die faszinierend wegen ihrer feinen Beobachtung und empfindsamen Poesie sind; ihre Autobiografie Nomadengut immerhin ist überliefert.

Weissweiler stellt Straus-Ernsts Literatur überzeugend in eine Reihe mit Exilliteraten wie Klaus Mann oder Josef Roth und hofft auf weitere Entdeckungen. Luise Straus-Ernst ergriff, wie viele andere Exilierte, keinen der Rettungsanker, die ihr noch bis 1944 zur Ausreise in die USA geboten wurden und wurde in einem der letzten Konvois aus Frankreich 1944 nach Auschwitz deportiert, wo sie vermutlich kurz nach ihrer Ankunft ermordet wurde. Vor ihrer letzten Wohnung in Köln-Sülz erinnert heute ein Stolperstein an sie.Ulla Lessmann

Kiepenheuer & Witsch 2016, 445 S., 24,99 €


Stewart O'Nan: Westlich des Sunset

Der Große Gatsby machte F. Scott Fitzgerald weltberühmt. Zusammen mit seiner Frau Zelda bildete er das Glamourpaar der wilden 20er. Dieser Roman beleuchtet die späten Jahre des Dichters, die schon früh begannen. Mit gerade mal 40 ging es bergab. Zelda sitzt in der Psychiatrie, mit wenig Hoffnung auf Besserung. Auch Scott ist fast am Ende, finanziell, künstlerisch, gesundheitlich. Verzweifelt nimmt er den Kampf auf - um seinen Platz im Leben und die Verantwortung für die Familie, gegen seine Alkoholsucht, seinen Leichtsinn und für sein literarisches Talent. In Hollywood verdingt er sich als Drehbuchschreiber - frustrierend und kaum erfolgreich. Zwar begegnet er viel Prominenz (Bogart, Dietrich & Co.) und seiner zweiten großen Liebe - der Klatschreporterin Sheilah. Doch er stirbt mit nur 44 Jahren an einem Herzinfarkt. O'Nan erzählt von diesem Absturz zurückhaltend, ohne jeden Bombast. Gut so, denn die Story überzeugt von sich aus und lässt den Leser so schnell nicht wieder los. Sehr berührend. Tina Spessert

Rowohlt Verlag, Ü: Thomas Gunkel, 416 S., 19,95 €


Nicholas Shakespeare: Broken Hill

Im australischen Städtchen Broken Hill warnen Eltern ihre Kinder: "Wenn du nicht brav bist, kommen die Afghanen dich holen." Es ist 1915, Holzhändler und Fuhrleute fürchten die Konkurrenz der afghanischen Arbeiter, die am Rande des Dorfes in einem Camp leben. Außerdem, so behaupten die Weißen, befänden sich ihre Frauen durch die Einwanderer in Gefahr. Die 21-jährige Rosalind glaubt den Vorurteilen nicht, freundet sich mit einem türkischen Eisverkäufer an und besucht die Afghanen im Lager. Sie fühlt sich durch die fremde Kultur geradezu angezogen - die Ausländer stehen für eine Welt jenseits von Broken Hill und seiner Provinzialität. Mit dieser Einstellung gerät Rosalind ins soziale Abseits. Der mächtige Gesundheitsinspektor und andere Bürger machen den Ausländern bewusst das Leben schwer. Die tägliche Ausgrenzung und Erniedrigung führen schließlich dazu, dass sich zwei Einwanderer zu Fundamentalisten entwickeln. Ihr Frust mündet in einem Attentat auf den traditionellen Picknickzug - und in einer Tragödie für alle Bewohner. Ein präzise erzähltes, knappes Drama mit lehrreicher Wirkung. Günter Keil

Hoffmann und Campe, Ü: Georg Deggerich, 128 S., 18 €


Will Firth: Sozialrevolutionäre Kreuzworträtsel

Kreuzworträtsel raten gilt gemeinhin nicht als intellektuelle oder politisch-historisch bildende Tätigkeit, zu banal und mechanistisch sind meist die Fragen. Kreuzworträtsel aber können auch witzig, links und sehr informativ sein. "Treffen einer ganzen Belegschaft, Gewerkschaft o.ä." mit 15 Buchstaben, "Arbeit zum Stücklohn" mit 12 Buchstaben oder "ital. Anarchist, 1927 in den USA hingerichtet" mit acht Buchstaben? Gewerkschafter/innen und politisch interessierte Menschen, die gerne rätseln, aber keine Lust auf die tausendste Frage nach "erster Mensch mit vier Buchstaben" verspüren, werden ihren Spaß mit den "sozialrevolutionären Kreuzworträtseln" von Will Firth haben. Der gebürtige Australier, Übersetzer und bekennende Anarchist, erfindet seit 1999 für eine Anarchistenzeitschrift "sozialrevolutionäre Kreuzworträtsel", die hier versammelt sind. Er fragt darin nach betrieblichen und gewerkschaftlichen Begriffen, wichtigen historischen oder zeitgenössischen Persönlichkeiten und Ereignissen, selten mal nach einem Kfz-Zeichen oder "franz. für Straße", wenn es sonst gar nicht aufgeht. Einziger Nachteil: Das Rätselbuch passt nicht in eine normale Handtasche, wohl aber in den Urlaubskoffer. Die Lösungen der 98 Rätsel sind übrigens am Ende des Buches abgedruckt. Aber "Schnellrestaurant mit schlechten Arbeitsbedingungen und zerstörerischer Umweltpolitik" mit sieben Buchstaben müssten Gewerkschafter/innen auch ohne nachzugucken kennen... Ulla Lessmann

Schmetterling Verlag,120 S.,10 €