Ausgabe 05/2016
Ich bin dann mal off
Immer mehr Berufstätige verzichten auf Urlaubstage, weil sich die Arbeit türmt, einige nehmen sich die Arbeit gleich mit in den Urlaub. ver.di publik hat sich umgehört, wie Beschäftigte Urlaub und Beruf voneinander trennen - oder eben auch nicht
Kathrin Geserick, Krankenschwester
Ich arbeite im ambulanten Pflegebereich und fahre durch die Gegend, um die Leute zu Hause zu versorgen und zu betreuen. Wenn ich Urlaub hab, gibt es ja Springer. Aber ich bin halt immer erreichbar. Die wissen das auch alle. Wenn sie Fragen oder Probleme haben, dann rufen sie im Urlaub an. Ich tue es, weil mir mein Job total Spaß macht, und weil ich meine Patienten nicht im Stich lassen möchte. Die liegen mir echt am Herzen. Mein Exmann war darüber sehr genervt. Das war auch ein ganz starker Grund, warum es zur Trennung kam. Weil ich meine Arbeit über alles gestellt habe, auch teilweise über die Familie. Meine jetzigen Reisepartner, Freunde, Bekannte fragen oft, ob ich das Handy nicht mal weglegen kann oder: "Und jetzt ist gut! Urlaub ist Urlaub!" Manchmal ärgere ich mich ja selber, dass ich nicht abschalten kann, aber es zwingt mich ja keiner dazu. Wenn man seinen Job liebt, schaltet man nicht ab.
Christina Gueye, Erzieherin
Nein, mach ich aus Prinzip nicht. Wir haben eine gute Chefin, die uns die Vor- und Nachbereitungszeit in der Kita lässt, wir müssen nicht in den Ferien abeiten. Der Papa meiner Kinder schafft das nur schwer. Er ist selbstständig und muss immer erreichbar sein. Wir sind am Strand, wollen entspannen, und dann klingelt ständig das Handy. Das ist für uns sehr anstrengend. Ich hab' ihn auch schon mal von unserem letzten Urlaub ausquartiert und weggeschickt, weil das für uns alle stressig ist, wenn er dann ständig mit Bauleitern am Telefon spricht, das macht uns dann den Urlaub kaputt. Deswegen ist das ein No-Go. Die Kinder sind davon genervt, wir haben die Regel: Kein Handy beim Essen, die der Papa selber aufgestellt hat - aber er kann sich nicht dran halten, weil er Verantwortung trägt. Es ist für uns alle echt schwer, auch für ihn, einfach Nein zu sagen, jetzt hat Familie Priorität. Ich finde die Eltern sollten sich im Urlaub mehr Zeit für die Kinder nehmen, damit alle erholter sind und das ganze Konzept Kita/Schule besser funktioniert und entspannter wird.
Jan Lerch, Journalist
Das passiert bei mir relativ häufig, dass ich im Urlaub auch Arbeit dabei habe, weil ich eventuell die Ruhe finde, um Sachen machen zu können. Ich unterscheide nicht so sehr zwischen Urlaub und Nicht-Urlaub. Dass man komplett nicht erreichbar ist, ist eher ungewöhnlich in meinem Fall. Ich identifiziere mich relativ stark mit meinem Beruf, und von daher geht das so ein bisschen Hand in Hand. Aber es ist natürlich auch so, dass ich mir ab und an sage: So, jetzt bin ich mal off. Meine Frau arbeitet in einem normaleren Job und findet das manchmal anstrengend mit mir. Sie hat aber mittlerweile auch verstanden, dass ich ein anderes Jobverständnis habe. Sie akzeptiert das mittlerweile. Wundert sich ein bisschen, aber hat den Eindruck, dass es mir persönlich besser geht, wenn ich meine Arbeitszeit frei gestalten kann. Dass ich zum Beispiel meist nachmittags mit dem Kind auf dem Spielplatz bin und vielleicht heute Nacht arbeiten werde. Aber das ist für jemanden, der eine solche Identifikation mit dem Job nicht gewohnt ist, teilweise schon schwer nachzuvollziehen.
Joachim Heng, Geschäftsführer eines Software-Unternehmens
Ich nehme gezwungenermaßen Arbeit mit, da ich Geschäftsführer eines Unternehmens bin, und da kann man sich nicht komplett abkapseln. Ich habe auch keine Lust, dass mich nach dem Urlaub Berge von Arbeit erwarten, und weil ich Entscheidungsträger bin, muss ich am Ball bleiben. Ich kann schon seit vielen Jahren Beruf und Freizeit gut trennen. Auch wenn ich mich im Urlaub eine Stunde hinsetze, kann ich danach sofort wieder abschalten und hab die Sachen nicht mehr im Kopf. Wenn ich es doch mal übertreibe mit der Arbeit, fallen ein paar nette Worte mit dezenten Hinweisen, und dann denke ich nach. Ich finde schon, man sollte Urlaub und Beruf sauber trennen, letztendlich ist es auch im Interesse des Unternehmens, dass Leute gesund und erholt wieder zum Arbeitsplatz zurückkehren. Wenn man es nicht gut trennen kann, sollte man darauf achten, dass man sich täglich eine Auszeit nimmt. Ich selber meditiere, und das täglich, das ist dann für mich auch eine Zeit, wo ich den Kopf total frei habe. Kann ich nur empfehlen.
Melanie Seifert, Sozialpädagogin
Ich nehme schon aus Prinzip keine Arbeit mit. Im Urlaub will man sich erholen und nicht auch noch dabei arbeiten. Arbeitsemails lese ich generell nicht im Urlaub und hab auch allen Kolleg/innen gesagt: Bitte keine Nachrichten. Es ist mir schon mal passiert durch die SMS einer Kollegin, die mir den kompletten Urlaub verdorben hat. Das würde ich nicht mehr machen. Ich war in Ägypten und es war eigentlich der Abreisetag. Ich war super erholt, es ging mir gut, und dann kam eben diese Nachricht, mit der sie mich total in Panik versetzt hat, weil wir ein neues Projekt hatten, das am nächsten Tag losgehen sollte. Da hatte ich gleich so einen Kloß im Magen. Das Gefühl hätte mir am Montag zu Arbeitsbeginn gereicht und nicht im Urlaub. Mir fällt es schwer, da hin und her zu switchen. Wenn ich weiß, ich hab jetzt zwei Wochen frei, dann möchte ich die auch genießen. Ich habe selber Kinder und deshalb möchte ich da nicht mit dem Kopf woanders sein.
Julia Kreuziger, Politikwissenschaftlerin
Nein, ich nehme keine Arbeit mit in den Urlaub. Wenn ich nicht da bin, bin ich nicht da. Da kann man nichts machen. Urlaub ist Urlaub. Das weiß auch mein Arbeitgeber. Ich bin an meinen Arbeitsplatz gebunden. Die Programme, mit denen ich arbeite, gibt es nur auf dem Rechner auf der Arbeit. Deshalb kann ich gar keine Arbeit mitnehmen, es ist ganz viel Tagesgeschäft. Und für mich ist die Definition von Urlaub die Abwesenheit von Fernsehen, Handy und eben Computer. Ich nehme auch nie ein Handy mit, die Leute wissen, in bin in zwei oder drei Wochen wieder da - alles gut.
Jan, Lehrer
Ja, weil ich das Gefühl habe, ich muss was tun. Ich bin Lehrer und da hab ich mich schon auf das nächste Schuljahr vorbereitet. Das wird nicht explizit verlangt, aber ich hatte einfach das Gefühl, ich müsste das machen. Ich fühle mich besser vorbereitet, wenn ich im Urlaub auch noch was mache, ab und an mal. Es ist einfach besser, mit ́nem guten Gefühl zum ersten Schultag in der Schule aufzuschlagen und zu wissen, man hat schon mal ein bisschen was vorgeplant. Und damit nicht alles auf einen einstürzt in den ersten Tagen. Es ist aber nicht so, dass ich im Urlaub keine Zeit mehr habe für Sachen, die Spaß machen. Ich sage dann mal für zwei Stunden: "So jetzt brauche ich meine Ruhe, ich muss was machen." Dann setz ich mich hin und lasse die anderen machen. Ist mir dann eigentlich auch egal. Das muss dann auch akzeptiert werden.
UMFRAGE UND FOTOS: Heike Stuckmann
Keine Zeit für Erholung?
Laut dem DGB-Index Gute Arbeit 2015 verzichtet jede/r dritte Beschäftigte zugunsten der Arbeit auf Urlaubstage. Am häufigsten ist dies bei Reinigungskräften und auf dem Bau der Fall.
Der Verzicht tritt oft auf, wenn unsichere Beschäftigungsperspektiven vorherrschen.