DAS PRALLE LEBEN

Elena Ferrante: Meine geniale Freundin

Ein gewaltiges Werk, eine Saga rund um eine lebenslange Freundschaft zweier ungewöhnlicher Frauen, ein internationaler Bestsellererfolg. Vier Bände, mehr als 1.500 Seiten. Die Autorin zählt zu den Weltstars der Literaturszene. Obwohl – oder gerade weil – kaum jemand weiß, wer sie in Wirklichkeit ist. Elena Ferrante ist ein Pseudonym, ihre literarische Identität, wie sie (oder vielleicht ein „Er“?) selber sagt, und nur die soll öffentlich wahrgenommen werden. Mit dem ersten Band wird das Ferrante-Fieber jetzt wohl auch in Deutschland ausbrechen – die Fortsetzungen folgen zügig im nächsten Jahr. Im Prolog erfahren wir, dass eine der Frauen, Lila, mit Mitte Sechzig spurlos verschwunden ist und das wohl sorgfältig inszeniert hat. Ihre Freundin Elena ist hilflos, wütend und beginnt, die gemeinsame Geschichte aufzuschreiben. Meine geniale Freundin erzählt von Kindheit und Jugend in einem Kleine-Leute-Viertel im Neapel der 50er Jahre, von Armut, Tristesse, aber auch von Auflehnung und der Suche nach neuen Perspektiven.

Beide Mädchen sind überdurchschnittlich intelligent und träumen von einer besseren Zukunft. Elena erschließt sich dazu fleißig, zielstrebig und eher angepasst über ihre schulischen Erfolge und das „Abenteuer Bildung“ die Aussicht auf ein anderes Leben – jenseits des Armenhauses Neapel. Lila hingegen, wenngleich noch begabter, aber auch stur und aufmüpfig, wirft in der Schule früh das Handtuch. Während Elena büffelt, verwandelt sich Lila aus einem hässlichen Entlein in einen faszinierend schönen Schwan, dem die Männer zu Füßen liegen. Ihr Motto für den sozialen Aufstieg lautet: „Hochzeit, Haus, Kinder“. Und so heiratet sie früh und stolz den – bescheiden wohlhabenden – Lebensmittelhändler von nebenan. Elena fürchtet, dass sich ihre Lebenswege trennen – und dass Lila vielleicht das bessere Los getroffen haben könnte. Aber das wird sich noch zeigen.

Ganz nebenbei zeichnet Ferrante ein neapolitanisches Panoramabild, in dem das pralle Leben tobt, im Alltäglichen und Außergewöhnlichen, mit Leidenschaften und Sehnsüchten, Irrungen und Wirrungen, genutzten und verpassten Chancen. Erste Kritiker bemäkeln den Unterhaltungscharakter des Romans. Aber was soll daran schlimm sein, wenn sich ein Buch mit Tiefgang und unbestreitbarer literarischer Kraft auch noch gut lesen lässt?. Tina Spessert

Suhrkamp Verlag, Übersetzung: Karin Krieger, 422 S., 22 €


Horst Eckert: Wolfsspinne

Eine junge Frau durchlebt im Traum die Todesschüsse auf ihren Vater, eine Bank in Eisenach wird überfallen, und die Besitzerin eines Düsseldorfer Schickeria-Restaurants wird brutal ermordet. Drei unterschiedliche Fälle, die miteinander verwoben sind, wie der Ermittler im Mord an der Gastronomin erkennt. Dabei kommt er einer alten Seilschaft aus Stasi, Verfassungsschutz und einem V-Mann zu nahe und soll mundtot gemacht werden. Seine Teilnahme an einer Anti-Pegida-Demo kommt da gerade recht. Bei einer Prügelei nimmt ihn ein Einsatzkommando als Rädelsführer fest. Seine Beteuerungen, er sei angegriffen worden, werden vom Tisch gewischt. Schließlich wird ihm der Fall entzogen – aber er gibt nicht auf. Ein vielschichtiger Polit-Thriller, bei dem sich – wie so oft bei Horst Eckert – reales Verbrechen mit Fiktion vermischt. Eckert hinterfragt die offizielle Version der NSU-Morde und verstrickt seine Hauptfigur in die Verflechtungen des NSU mit dem Verfassungsschutz und der Polizei. Dabei gelingt es ihm, sein geschickt ausgelegtes Netz, Faden für Faden in die Hände seines Ermittlers laufen zu lassen. Packend. Martina Schneiders

Wunderlich Verlag, 489 S., 19,95 €


Asne Seierstad: Einer von uns

Eine der bitteren Erkenntnisse dieser literarischen, minutiös recherchierten Rekonstruktion des Falles Breivik ist, dass wir seinen kruden Ideen, seinem Rassismus und Hass heute tausendfach in den Kommentarspalten der sozialen Medien wiederbegegnen. Dort nennt es sich „Islamkritik“ und drückt sich weit weniger höflich aus, als es der rechtsextreme Einzelgänger tat, der mit seinen Anschlägen die Arbeiterpartei und die „Kulturmarxisten“ zerstören wollte. Die norwegische Kriegsreporterin Seierstad setzt hier vor allem den Opfern ein Denkmal. Exemplarisch erzählt und verbindet sie neben Breiviks auch die Geschichte einiger der 69 auf Utoya getöteten Teenager: Vom kurdischen Mädchen Bano, die sich der sozialdemokratischen AUF angeschlossen hatte. Oder Simon, ein Politik-Talent, den Breivik erschoss, als er anderen zu Hilfe kam. Seierstads Recherchen ragen in die Vergangenheit der Familien und zeichnen ein Bild der norwegischen Gesellschaft, das um Zugehörigkeit und Ausgrenzung kreist. Auch der frühere Sprayer Breivik wollte dazugehören und radikalisierte sich erst, als den uncoolen Sonderling noch nicht mal die rechtsextreme Fremskrittspartei aufnehmen wollte. Einer von uns ist auch die Aufforderung, sich nicht mit dem leichtfertigen Begriff des „Amokläufers“ zu begnügen, sondern als Gemeinschaft den eigenen Anteil an den Entwicklungen zu reflektieren. Das blieb nach Utoya, aber auch nach München, aus. Jenny Mansch

Kein und Aber Verlag, Ü: F. Zuber/N. Pröfrock, 544 S., 26 €