Ausgabe 06/2016
Wenn ich das gewusst hätte ...
Sechs Frauen, sechs Lebensläufe, die zeigen, warum die Altersarmut derzeit vor allem weiblich ist und es einen Kurswechsel in der Rentenpolitik braucht
Renate Brauer, 61, Frankfurt/Main, freigestellte Personalrats-Vorsitzende im Stadtschulamt, gelernte Schulsekretärin
Erwartete Rente brutto: 1.400 Euro gesetzliche Rente, 430 Euro Zusatzversorgung
Rentenmindernd: Teilzeitarbeit, typischer Frauenberuf
"Altersarmut ist ein Thema, das ist ganz weit weg, wenn man jung ist. Ich verstehe gut, dass man leben will und nicht nur arbeiten möchte. Aber ich glaube, Teilzeitarbeit sollte vermieden werden. Als ich das erste Mal realisiert habe, wie niedrig meine zukünftige Rente ist - obwohl ich immer noch mehr haben werde als viele andere Frauen - habe ich damals gedacht, es ist gut, dass ich die Erfahrung habe, dass ich bei meinem Berufseinstieg mit einem halben Gehalt - das waren 631 D-Mark 1974 - leben konnte. Und das Leben war trotzdem gut. Ich bin nicht in Verzweiflung ausgebrochen. Die für eine Frau dennoch relativ hohe Rente habe ich aber nur erreichen können, weil ich den Wechsel in recht gut bezahlte Stellungen als Springerin und dann im Bereich Personalentwicklung geschafft habe. Das ist bei Schulsekretärinnen selten.
„Eine Standardversicherung, die alle einbezieht, also auch die Selbstständigen und den Beamtenbereich, ist das, was die Sozialversicherungssysteme stabilisieren könnte."
Es wäre wichtig, dass insgesamt die Einkommensverhältnisse für Frauen besser werden. Dass der Lohn zwischen Männern und Frauen so weit auseinanderklafft, ist ein Unding. Wir haben bei uns im Amt zum Beispiel noch Reinigungskräfte, die ausgesprochen schlecht bezahlt werden, und wir haben viele teilzeitbeschäftigte Schulsekretärinnen. Und wenn die gerne aufhören möchten und berechnen, von was sie dann leben müssten, ist das teilweise schon sehr, sehr schwierig.
Eine Standardversicherung, die alle einbezieht, also auch die Selbstständigen und den Beamtenbereich, ist das, was die Sozialversicherungssysteme stabilisieren könnte. Ich finde es auch wichtig, dass die Rentenversicherung von einigen Leistungen entlastet wird, die einfach anders finanziert werden müssen, beispielweise Kindererziehungszeiten, die Folgekosten der Wiedervereinigung. Und warum nimmt man nicht den Solidarbeitrag zur Stabilisierung der Rentenversicherung?“
Anja Vorspel, 55, Düsseldorf, gelernte Buchhändlerin, arbeitet Teilzeit in der Kundenverwaltung eines Altenpflegeheims, eine Tochter
Erwartete Rente: Ca. 510 Euro
Rentenmindernd: hat teilweise selbstständig gearbeitet, alleinerziehend, musste während ihres zeitweisen Arbeitslosengeld-II-Bezugs ihre angesparte Riester-Rente auflösen
"Ich gehe klar davon aus, dass die Rente für mich, so wie sie bisher berechnet wird, nicht ausreichen wird. Düsseldorf ist eine der teuersten Städte, was die Mieten angeht. Ich gehe davon aus, dass ich auf jeden Fall weiter arbeiten werde. Wenn ich dann sehe, dass ich die ganze Zeit gearbeitet habe bis auf eine kleine Pause, macht mich das natürlich wütend, wenn ich die Briefe von der Rentenversicherung kriege und sehe, was dann am Ende übrig bleiben soll. Das ist auch überhaupt nicht einzusehen. Da muss dringend etwas verändert werden.
„Die niedrigen Renten liegen vor allem auch daran, dass Frauen während der gesamten Erwerbsbiografie geringere Löhne kriegen.“
Ich habe als Alleinerziehende versucht, Arbeit und Kindererziehung unter einen Hut zu bringen, was nicht ganz einfach ist. Als meine Tochter drei Jahre alt war, habe ich mich mit einem Büro selbstständig gemacht. Ich konnte uns dann gut versorgen, aber es blieb nichts übrig, um das in die Rentenversicherung einzuzahlen. Danach wollte ich zurück in den Buchhandel. Aber bei einer festen Anstellung hat man mir sofort gesagt, dass keine Rücksicht genommen wird auf Kindererziehung oder Zeiten. Da wäre ich überhaupt nicht flexibel gewesen. Daher habe ich selbst einen Buchladen eröffnet, weil es besser mit der Kindererziehung zu kombinieren ist.
Die niedrigen Renten liegen vor allem auch daran, dass Frauen während der gesamten Erwerbsbiografie geringere Löhne kriegen. Diese 20 bis 25 Prozent weniger wirken sich natürlich auf die Rente aus. Ich habe, als ich in einem Betrieb für erneuerbare Energien angestellt war, einen neuen Kollegen bekommen, den ich eingearbeitet habe - der bekam 1.000 Euro netto mehr. Das hat natürlich auch in der Firma zu Streit geführt. Als Argument bekam ich zu hören: Der hat Familie. Ich hatte als Alleinerziehende nur eine Tochter. Solche Sachen werden bei Frauen wahrscheinlich öfter vorkommen. Das sind Sachen, die nicht nur Einzelne betreffen, sondern alle Frauen."
Angelika Hoffmann, 72, Hanau, zwei Söhne. Gelernte Säuglingsschwester und Krippenerzieherin, weitere Abschlüsse als Gesangssolistin und Reiseverkehrskauffrau. Hat zudem noch als Dolmetscherin und Ensembleleiterin gearbeitet
Rente: rund 1.000 Euro
Rentenmindernd: zwei Jahre Auszeit nach der Geburt des zweiten Sohnes 1969, zweimal den Mann ins Ausland begleitet, Scheidung in der DDR ohne Versorgungsausgleich, Erwerbsminderungsrente, Arbeit in sozialen Berufen
"Einen Friseur kann ich mir nicht leisten. Ich kann mir eigentlich gar nichts leisten. Aber ich versuche halt, mir als Übungsleiterin noch ein kleines Zubrot zu verdienen und borge mir Geld, damit ich medizinische Leistungen überhaupt bezahlen kann. Arbeiten kann man das nicht nennen, ich mache einmal in der Woche mit Kindern Musik. Das ist auch eine kleine Therapie, damit ich von diesen Ängsten, Sorgen und finanziellen Nöten mal ein bisschen abgelenkt werde.
Ich bin an sich ein sehr optimistischer Mensch, auch in der schlimmsten Situation kann ich mir ein Lächeln abringen, aber es wird mir wirklich manchmal Himmelangst: Wo soll das noch hinführen? Nun werden meine Gebrechen immer schwerer. Ich kann kaum noch laufen. Ich muss überall hinlaufen, um jede kleine Hilfe kämpfen, das finde ich entwürdigend. Ich habe den Eindruck, dass man wartet, bis die biologische Lösung eingetreten ist, dann braucht man ja nichts mehr zu zahlen. Wir älteren Menschen existieren gar nicht mehr, wenn nichts mehr bei uns zu holen ist.
"Ich habe den Eindruck, dass man wartet, bis die biologische Lösung eingetreten ist, dann braucht man ja nichts mehr zu zahlen."
Ich habe mich immer mehr zurückgezogen, ich kann ja nicht mithalten. An den Gesprächen, wir waren wieder dort oder dort, kann ich auch nicht teilnehmen. Und wenn sie mich fragen, wie es mir geht, möchte ich auch nicht lügen. Der soziale Rückzug ist programmiert. Ich fühle mich wertlos und eigentlich würdelos. Es wird mir keine Würde und Respekt entgegengebracht von den politischen Vertretern, die dafür zuständig sind. Natürlich fühle ich mich besonders als Frau benachteiligt in dieser Gesellschaft. Ich kann immer nur den jungen Frauen den Rat geben, seid kritisch, fordert, was die Kindererziehung betrifft, Einrichtungen, damit ihr den beruflichen Werdegang ausfüllen könnt."
Vera Zabel, 60, gebürtig aus Mecklenburg, arbeitet seit 2007 bei Metro Cash & Carry in München-Pasing, zwei Kinder, zum zweiten Mal verheiratet. Kann im Dezember 2019 auf Grund eines Grads der Behinderung von 50 Proent vorzeitig in Rente gehen
Erwartete Rente: 1.088 Euro. Dazu kommen eine Riester-Rente und eine geringe Betriebsrente
Rentenmindernd: geringe Löhne im Handel, unterschiedliche Bewertung der Rentenpunkte Ost wie West, Aushilfstätigkeiten, Zeiten von Arbeitslosigkeit, Studium, drei Jahre als mithelfende Ehefrau gearbeitet, hat erst ab 2013 in die Betriebsrente einzahlen können
"Als ich hörte, dass ich nicht mal 1.000 Euro Rente netto haben werde, habe ich mit meinem Mann lange darüber diskutiert. Ich hatte mit 100, 200 Euro mehr gerechnet. Als erstes habe ich mir einen Nebenjob gesucht und spare das Geld, damit die finanzielle Situation im Rentenalter nicht ganz so schwierig ist. Wir haben beschlossen, wenn wir Rentner sind, wieder nach Mecklenburg zurückzugehen, weil du dir das in Bayern nicht leisten kannst. Sowohl mein Mann als auch ich werden uns auch in Mecklenburg einen Nebenjob suchen müssen, solange wir das gesundheitlich verkraften. Das ist zwar traurig, aber das ist so. Dafür hat mein Mann 45 Jahre und ich habe mehr als 35 Jahre gearbeitet. Das ist für uns sehr, sehr hart, zumal die Rentenpunkte, die wir zu DDR-Zeiten erworben haben bzw. nach der Wiedervereinigung im Osten erworben haben, weniger wert sind als die Westpunkte. Das geht in meinen Kopf nicht rein, warum das so ist.
"Die Politik hat in meinen Augen bei der Rente versagt. Die Absenkung des Rentenniveaus war ein großer Fehler, weil sie damit die Lebensleistung aller Menschen entwerten."
Der Lebensleistung, die ich erbracht habe, wird meine Rente nicht gerecht mit der Absenkung auf 47,1 Prozent. Und dann muss das Ganze noch versteuert werden. Die Altersarmut von Frauen ist im Handel sehr dominant, weil Frauen überwiegend nicht fest angestellt sind, in Mini- oder Teilzeitjobs arbeiten und damit nicht die Rentenpunkte erwirtschaften können, die sie brauchen, um eine vernünftige Rente zu erzielen. Wenn ich im jungen Alter gewusst hätte, was mir blüht, hätte ich vielleicht mehr dafür kämpfen sollen, dass ich immer fest angestellt bin, denn das sind Zeiten, die mir fehlen. Die Führungspositionen werden im Handel überwiegend von Männern ausgeführt, die dementsprechend mehr verdienen. Die täglichen harten Aufgaben werden von den Frauen in Teilzeit übernommen.
Die Politik hat in meinen Augen bei der Rente versagt. Die Absenkung des Rentenniveaus war in meinen Augen ein großer Fehler, weil sie damit die Lebensleistung aller Menschen entwerten."
Karin Mohr, 72, Görlitz, hat 27 Jahre als Beamtin im Fernmeldeamt gearbeitet, bevor sie sich mit 43 entschlossen hat, noch einmal zu studieren. Mit 50 Anstellung bei der Technologie-Beratungsstelle des DGB in Rheinland-Pfalz. 2003 aus gesundheitlichen Gründen ausgeschieden, gibt bis heute freiberuflich Seminare und Schulungen
Rente: 1.100 Euro gesetzliche Rente, 500 Euro Witwenrente, 98 Euro betriebliche Rente
Rentenmindernd: Durch das Ausscheiden aus dem Beamtentum ca. 1.000 Euro weniger Rente als vergleichbare Angestellte. Studium. Vorzeitiges Ausscheiden aus dem Beruf
"Der Grund für die hohe Frauenaltersarmut ist, dass viele denken: ,Er wird mich schon ernähren'. Dann kommt plötzlich die Scheidung, dann muss man sich darum kümmern, dass man Unterhalt bekommt, das die Versorgung gewährleistet ist. Wenn ich selber arbeite, kann ich mir mein Leben gestalten. Ich wohne jetzt seit zwei Jahren in Sachsen. Da ist die Situation eine andere, die jungen Frauen haben nicht unbedingt Minijobs, aber ganz kleinteilige Teilzeitplätze. Davon kann man auch nicht leben. Der Weg zur Altersarmut fängt ja schon an, wenn du alleinerziehend bist und nicht arbeiten gehen kannst, weil dein Kitaplatz so ist, dass er nicht mit deinem Arbeitsplatz übereinstimmt. Deshalb: keine Minijobs, keine Teilzeit, die einem nicht das Leben ermöglicht. Jede Arbeit muss sozialversicherungspflichtig bezahlt werden, damit man in jedem Fall eine Versorgung im Alter hat - wobei die ja oft noch nicht mal ausreicht, weil die Gehälter so niedrig waren.
"Wenn ich sehe, wie viele Leute für Pegida auf die Straße gehen, dann sollten viel mehr Menschen auch mal für ihre Rente und für ihre eigenen Arbeitsbedingungen auf die Straße gehen."
Unsere Gesellschaft sollte wieder etwas sozialer werden. Wenn ich sehe, wie viele Leute für Pegida auf die Straße gehen, dann sollten viel mehr Menschen auch mal für ihre Rente und für ihre eigenen Arbeitsbedingungen auf die Straße gehen. Ich weiß, dass meine Rente in Bezug auf andere Frauenrenten im Grunde sehr hoch ist, aber im Vergleich zu meinem Verdienst, den ich vorher hatte, ist das einfach nicht viel. Das hat dafür gesorgt, dass sich mein Lebensstil absolut geändert hat."
Hilary Bown, 35, Berlin, ist als Bildungsmigrantin 2003 aus den USA nach Deutschland gekommen, arbeitet seit 2012 als selbstständige Journalistin
Rente: steht noch nicht fest. Ist über die Künstlersozialkasse rentenversichert und hat eine Riesterrente
Rentenmindernd: Migration
"Für mich ist die Rente nicht nur ein persönliches Thema, sondern eins, das Migranten sehr betrifft. Die meisten Migranten reisen erst mit Ende 20 nach Deutschland. Auch ich habe erst 2009, also mit 29, erstmals in Deutschland in die Rentenkasse eingezahlt. Das sind zwölf Jahre Unterschied zum durchschnittlichen Deutschen, der mit 17 anfängt.
Ich komme zum Glück aus den Vereinigten Staaten, wir haben ein Sozialversicherungsabkommen mit der Deutschen Rentenversicherung, also werden Arbeitszeiten, die ich vorher in den Vereinigten Staaten hatte, mitgezählt bei den Rentenpunkten. Aber für viele, zum Beispiel aus der Türkei, zählen die Arbeitszeiten vor der Anreise nicht. Migrantische Frauen trifft das zusätzlich. Sie durften oft erst später nachgeholt werden und konnten erst Jahre später anfangen zu arbeiten. Dadurch entstehen Lücken von bis zu 20 Jahren, die zu einer tragisch niedrigen Rente führen.
"Wir als Gesellschaft müssen einfach neue Lösungen finden, damit Leute, die sich auf ihr Leben konzentrieren, abgesichert sind."
Ich selbst habe eine Lücke von sechs Jahren. Denn Arbeit, auch kleinere Jobs, mussten von der Arbeitsagentur und der Ausländerbehörde genehmigt werden. Da gab es genug Deutsche oder andere, die sie ohne Genehmigung einstellen konnten. Als mir 2008 Arbeit in einer bilingualen Kindertagesstätte angeboten wurde, hat die Genehmigung sechs Monate gedauert.
Ich war aber nach dem Studium darauf angewiesen, dass ich irgendeine Arbeit bekomme, damit ich bleiben durfte. Nach drei Jahren habe ich eine Niederlassungserlaubnis bekommen. Erst danach konnte ich mich in die Selbstständigkeit wagen. Als Journalistin bin ich in der Künstlersozialkasse rentenversicherungspflichtig.
Wir als Gesellschaft müssen einfach neue Lösungen finden, damit Leute, die sich auf ihr Leben konzentrieren, abgesichert sind. Ein Studium dauert, viele machen eine zweite Ausbildung. Man bleibt nicht mehr sein Leben lang in einer Firma. Es wird viele Phasen geben. Ich habe studiert, hatte bezahlte Arbeit, jetzt ist die Selbstständigenphase. Da müssen wir mehr solidarisch denken und jedem ein gerechtes Leben gewähren."
O-Ton-Protokolle: Heike Langenberg und Heike Stuckmann
„Eine Standardversicherung, die alle einbezieht, also auch die Selbstständigen und den Beamtenbereich, ist das, was die Sozialversicherungssysteme stabilisieren könnte."
„Die niedrigen Renten liegen vor allem auch daran, dass Frauen während der gesamten Erwerbsbiografie geringere Löhne kriegen.“
"Ich habe den Eindruck, dass man wartet, bis die biologische Lösung eingetreten ist, dann braucht man ja nichts mehr zu zahlen."
"Die Politik hat in meinen Augen bei der Rente versagt. Die Absenkung des Rentenniveaus war ein großer Fehler, weil sie damit die Lebensleistung aller Menschen entwerten."
"Wenn ich sehe, wie viele Leute für Pegida auf die Straße gehen, dann sollten viel mehr Menschen auch mal für ihre Rente und für ihre eigenen Arbeitsbedingungen auf die Straße gehen."
"Wir als Gesellschaft müssen einfach neue Lösungen finden, damit Leute, die sich auf ihr Leben konzentrieren, abgesichert sind."