Gut zwölf Jahre nach seinem Inkrafttreten könnte man von einem Bundesgesetz erwarten, dass es nicht noch ständig von den Gerichten überprüft und ausgelegt werden muss. Beim "Vierten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt" - im Volksmund kurz: Hartz IV - ist das Gegenteil der Fall. "Jede zweite Klage gegen Hartz IV in diesem Jahr erfolgreich", titelte Mitte November die Hagener Westfalenpost. Das Blatt beruft sich mit seiner Analyse auf aktuelle Zahlen der Bundesagentur für Arbeit, die Sabine Zimmermann, Vizevorsitzende der Fraktion "Die Linke" im Bundestag, angefordert hatte.

Danach liegt die Erfolgsquote der Hartz-IV-Klagen im laufenden Jahr bei 44 Prozent, 2015 waren es 40 Prozent, im Jahr zuvor 41 Prozent. Allmonatlich gehen laut Zeitung im Schnitt rund 10.000 solche Klagen bei den Sozialgerichten ein, im September 2016 waren knapp 190.000 Verfahren anhängig, also noch nicht abgeschlossen. Für Sabine Zimmermann belegt der anhaltend hohe Prozentsatz an erfolgreichen Klagen laut Westfalenpost, wie "anfällig für Fehler und Willkür das ganze System der Leistungsbewilligung im Hartz-IV-Bereich ist". Sie fordert, Hartz IV durch eine bedarfsdeckende und sanktionsfreie Mindestsicherung zu ersetzen.

Wer auf das Arbeitslosengeld II (Hartz IV) angewiesen ist, muss sich nicht nur einer überbordenden Bürokratie aussetzen. In vielen Fällen muss er oder sie in der Tat auch noch mit juristischen Mitteln um das ohnehin Wenige kämpfen, das ihnen zusteht. Am meisten wird um Wohnkosten gestritten, oft müssen sich Hartz-IV-Berechtigte aber auch gegen Bestrafungen und Rückzahlungsforderungen der Behörde zur Wehr setzen.

Was Richter korrigiert haben

Immer wieder werden Entscheidungen von Gerichten korrigiert. So entschied jetzt das Sozialgericht Augsburg, dass das Jobcenter einen Zweck zu nennen hat, wenn es eine Leistungsbezieherin auffordert, sich im Amt zu melden, und sie nicht mit Leistungskürzung bestrafen darf, wenn sie nicht erscheint (Aktenzeichen S 8 AS 822/16). Auch dass das Jobcenter zwei auf Hartz IV angewiesenen Gymnasiasten die notwendigen Schulbücher im Wert von 470 Euro bezahlen musste, bedurfte einer Entscheidung des Sozialgerichts Hildesheim (Aktenzeichen S 37 AS 1175/15).

Bis zum Bundessozialgericht musste ein Hartz IV-Berechtigter gehen, um zu verhindern, dass er ein Darlehen des Jobcenters für seine Mietkaution durch Abzüge von seiner monatlichen Regelleistung abstottern musste. Die Richter/innen halfen ihm; ansonsten sei das Existenzminimum des Mannes nicht mehr gewährleistet, so die Entscheidung (Aktenzeichen B 4 AS 26/10 R).

Die Chancen von Hartz-IV-Berechtigten vor Gericht sind also gar nicht so schlecht. Doch auf der anderen Seite finden sich 56 Prozent der Klagen, die erfolglos bleiben. ver.di-Mitglieder unter den Betroffenen genießen bei Konflikten mit dem Jobcenter kostenlosen Rechtsschutz, sie können sich in der zuständigen Geschäftsstelle beraten lassen und werden auch - bei Aussicht auf Erfolg - vor Gericht vertreten.

Henrik Müller