Noch mehr Rentenkürzungen wollen sie nicht hinnehmen: Rentner und Rentnerinnen protestieren in Athen

Von Theodora Mavropoulos

Griechenland geht durch eine doppelte Krise: Auf der einen Seite sitzen knapp 63.000 Flüchtlinge und Migrant/innen in Griechenland unter zum Teil menschenunwürdigen Bedingungen fest. Auf der anderen Seite muss die griechische Bevölkerung weitere harte Sparmaßnahmen über sich ergehen lassen.

"Griechenland steckt in einer menschlichen Tragödie", sagt Grigoris Kalomiris, Mitglied im Vorstand des griechischen Verbands der Gewerkschaften im öffentlichen Dienst (ADEDY). "Die beschlossenen Kürzungen drängen die Mittelschicht immer weiter in die Armut - von der Unterschicht ganz zu schweigen", so Kalomiris. Gleichzeitig distanziere sich die ADEDY von der Flüchtlingspolitik der griechischen Regierung und der EU.

"Den Flüchtlingen müssen menschenwürdige Unterkünfte gestellt werden", sagt der Gewerkschafter. "Man darf sie nicht in Ghettos und gefängnisartigen Camps abstellen! Hotels und öffentliche Gebäude sollten für diese Zwecke beschlagnahmt werden." Aber es müsse eine Balance zwischen der Hilfe für die Griechen und der Unterstützung der Flüchtlinge gefunden werden. Denn die Bevölkerung lebe ebenfalls in katastrophalen Verhältnissen.

"Die Sozialleistungen werden immer weiter eingedämmt, sodass die krisengeschüttelte Bevölkerung nicht mehr aufgefangen werden kann", sagt Grigoris Kalomiris. Der Staat breche in sich zusammen.

Die dritte Rentenkürzung

Die Rentnerin Maria Kardatou musste das am eigenen Leib erfahren. Ihre Rente wurde bereits dreimal gekürzt. "Obwohl Ministerpräsident Alexis Tsipras versprochen hatte, unsere Renten nicht mehr anzutasten", sagt die 80-Jährige. Zuerst bekam die ehemalige Besitzerin einer Taverne eine Rente von 900 Euro. Die wurde bis heute auf knapp 700 Euro gekürzt. Davon gehen 300 Euro Miete ab. Am Essen und an Genussmitteln könne man ja noch sparen, sagt Maria Kardatou, aber vor allem die Medikamente müssen hauptsächlich aus eigener Tasche bezahlt werden. Die Zuschüsse der Krankenkasse sind in den letzten Jahren stark gedrosselt worden. Kardatou ist zuckerkrank und muss täglich Medikamente einnehmen. Im Supermarkt kauft sie nur noch das Nötigste.

Seit dem 1. Januar dieses Jahres treten durch das verabschiedete Haushaltspaket für das Jahr 2017 weitere indirekte Steuern in Kraft: Strom, Internet, Mobiltelefonie, Zigaretten, Alkohol und Kaffee werden teurer. So kostet das Kilo Kaffee um zwei bis drei Euro mehr. Auch Autofahren wird teurer: Benzin kostet drei Cent mehr pro Liter, bei Diesel steigt der Preis um acht Cent.

Maria Kardatous Söhne sind langzeitarbeitslos und können die Mutter daher finanziell nicht unterstützen. Denn das Arbeitslosengeld von etwa 380 Euro wird nur ein Jahr lang gezahlt. Danach gibt es für ein Jahr noch eine monatliche Zahlung von 200 Euro. Dann werden die Menschen in die völlige Armut entlassen.

23 Prozent Erwerbslose

Das verabschiedete Haushaltspaket solle das Wirtschaftswachstum im Lande ankurbeln und so die hohe Arbeitslosenquote von aktuell über 23 Prozent bis Ende des Jahres auf 20,6 Prozent senken, sagte Ministerpräsident Tsipras, Syriza-Partei. Doch das Haushaltspaket, das Ausgaben von insgesamt 55,75 Milliarden Euro umfasst, legt neben den indirekten Steuern noch weitere Einsparungen auf Kosten der Bevölkerung fest: Gehälter und Renten sollen nochmals um 5,7 Milliarden Euro gekürzt werden.

"Die griechische Regierung ist nach unserer Einschätzung hauptverantwortlich für die Situation der Bevölkerung", sagt Grigoris Kalomiris. Die Regierung habe sich gänzlich der Austeritätspolitik der EU unterworfen. Die linke Regierung schlage den gleichen Weg ein wie die früheren Regierungsparteien, die konservative Nea Demokratie (ND) und die sozialdemokratische PASOK. Mit linken Werten wie dem Sozialstaat und den Arbeiterrechten habe das nichts mehr zu tun. "Die Syriza-Partei wurde im Namen der Linken gewählt, hat aber ihre Werte verraten und ist den Neoliberalen beigetreten", urteilt der Gewerkschafter Kalomiris. Die Regierung betreibe eine Anti-Arbeiter-Politik.

Arm trotz Arbeit

Billige Arbeitskräfte sind in einem Land mit einer so hohen Arbeitslosenzahl leicht zu kriegen. So haben inzwischen viele Menschen in Griechenland, die noch Arbeit haben, trotzdem weniger Einkommen als 586 Euro pro Monat, der Armutsgrenze. Dimitra Kitzou ist eine von ihnen. Die promovierte Umweltökonomin arbeitet seit zwei Jahren 40 Stunden pro Woche in der Kontrollabteilung der staatlichen Wasserwerke EYDAP. Einen anderen Job konnte sie nicht finden. Ihr Monatslohn beträgt 550 Euro. Sie ist bei einer ausgelagerten Firma angestellt und bekommt immer nur Arbeitsverträge für jeweils sechs Monate. "So kann man nie den Mund aufmachen und für mehr Arbeitsrechte einstehen", sagt die 40-Jährige.

Jeder habe Angst vor der Kündigung. Bei ihrer Arbeit stellt sie fest, dass immer mehr Menschen zahlungsunfähig werden. "In den letzten Monaten musste ich mehr und mehr Mahnungen wegen unbezahlter Wasserrechnungen verschicken", sagt sie. "Die Menschen können einfach nicht mehr."