Die 2016 eingeführte Geschlechterquote bringt mehr Frauen in die Aufsichtsräte

Im ver.di-Vorstand sind die Frauen in der Mehrheit. Das ist vorbildlich. In der Wirtschaft dagegen haben es Frauen beim Aufstieg schwer. In den Spitzengremien großer Unternehmen sind sie unterrepräsentiert. "Frauen leisten einen hochwertigen Job. Das muss sich auch in den Führungspositionen widerspiegeln", findet ver.di-Vorstandsmitglied Christine Behle. Sie selbst sitzt in mehreren Aufsichtsräten und ist bei der Deutschen Lufthansa AG stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende. Doch im Konzernvorstand der Lufthansa ist von fünf Vorständen nur einer eine Frau. Auf der ersten Führungsebene betrage der Frauenanteil nur 9,6 Prozent, auf der zweiten Ebene 15,9 Prozent, rechnet Behle vor. "Da ist noch viel Luft nach oben", sagt sie.

Mehr Frauen in Führungspositionen will auch der Gesetzgeber. Deshalb gilt seit 2016 eine Frauenquote von 30 Prozent für neu zu besetzende Aufsichtsratsposten von Unternehmen, die börsennotiert sind und der paritätischen Mitbestimmung unterliegen. Das trifft auf über 100 Unternehmen in Deutschland zu, in der Regel haben sie mehr als 2.000 Arbeitnehmer/innen. Grundlage ist ein Gesetz, das am 1. Mai 2015 in Kraft getreten ist und die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst fördern soll.

Für Millionen Frauen

Von einem historischen Schritt für die Gleichberechtigung der Frauen in Deutschland sprach Manuela Schwesig, SPD, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, bei Einführung des Gesetzes. Sie erhofft sich einen Kulturwandel in den Unternehmen. Denn wenn in den Führungsetagen, in denen über Lohn und Arbeitsbedingungen entschieden werde, künftig mehr Frauen präsent seien, entfalte das Gesetz nicht nur dort seine Wirkung, sondern es komme ganz konkret bei Millionen Frauen an.

Verbesserungen für Frauen sind auch dringend nötig, sagt ver.di-Vorstandsmitglied Sylvia Bühler. Sie ist im Aufsichtsrat der Sana Kliniken AG, der 15 Männer und fünf Frauen zählt. Auf der Seite der Anteilseigner sitzen ausschließlich Männer. Bühler ist Arbeitnehmervertreterin und kritisiert, dass Frauen im Gesundheitswesen in Führungspositionen unterrepräsentiert sind. "Es ist kein Zufall, dass es traditionelle Frauenberufe sind, die trotz guter Qualifikation und hoher Verantwortung in vielen Bereichen noch nicht entsprechend vergütet werden", sagt Bühler. Die Benachteiligung aufgrund des Geschlechts ziehe sich durch alle Hierarchieebenen. Das müsse sich ändern. ver.di will, dass die sozialen Berufe endlich die Bezahlung bekommen, die sie verdienen.

Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend lobt auf seiner Internetseite Vorreiter wie die Lufthansa, die Telekom und Adidas, die seit geraumer Zeit erfolgreich daran arbeiten, eine neue Führungskultur aufzubauen, und die jetzt durch das Gesetz bestärkt werden. Doch auch bei anderen Unternehmen ist ein Jahr nach Einführung der Quote Besserung in Sicht. So ist der Frauenanteil in den Aufsichtsräten, die unter die Quote fallen, um gut vier Prozentpunkte auf 27 Prozent gestiegen. Und damit etwas stärker als in Unternehmen, die frei über ihre Gleichberechtigungsziele entscheiden können. Das geht aus Zahlen des aktuellen Managerinnenbarometers des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) hervor, die am 11. Januar 2017 veröffentlicht wurden. Elke Holst, Forschungsdirektorin für Gender Studies am DIW, sieht hier das Prinzip des "leeren Stuhls" als Treiber. Werde der neu zu besetzende Posten im Aufsichtsrat nicht von einer Frau besetzt, müsse er leer bleiben. Dass jedoch Frauen und Männer gleich stark in Spitzengremien vertreten sein werden, bleibe nach wie vor in weiter Ferne, glaubt Holst. Vor allem Vorstände seien eine Männerdomäne.

Das kann dauern

Das DIW hat hochgerechnet, würde man die schwache Entwicklung des Frauenanteils in Aufsichtsräten und Vorständen der vergangenen Jahre so weiterschreiben, dann würde es mehr als 60 Jahre dauern, bis in den Vorständen der Top-200-Unternehmen eine geschlechtergleiche Besetzung erreicht ist. In den Aufsichtsräten würde es 18 Jahre dauern. Doch vermutlich dauert das alles sogar noch viel länger, denn wenn ein Unternehmen die 30-Prozent-Quote für Frauen im Aufsichtsrat erreicht hat, geht es danach kaum noch weiter. Auch in den Vorständen sieht es nicht besser aus. Kein einziges der 200 größten Unternehmen, das im Jahr 2015 einen Frauenanteil im Vorstand von einem Viertel oder mehr erreicht hatte, hat diesen Anteil weiter gesteigert.

Das ist nur schwer zu begreifen, zumal im Vorfeld der Quote im Auftrag des Bundesfamilienministeriums ein Stimmungsbarometer erstellt worden war. Viele Unternehmen erhofften sich durch die Steigerung des Frauenanteils in Führungspositionen eine höhere Attraktivität des Unternehmens für Bewerberinnen (74 Prozent) sowie positive Auswirkungen auf den Unternehmenserfolg (61 Prozent). Für Gabriele Gröschl-Bahr, zuständig im ver.di- Vorstand für die Mitbestimmung,ist die Quote ein Gewinn für Unternehmen und Beschäftigte. "Sichtweisen von Männern und Frauen auf die Unternehmensführung - gerade bezogen auf die Aufsicht von Aktiengesellschaften - tragen zum gemeinsamen Erfolg bei."

ver.di-Vorstandsmitglied Andrea Kocsis sieht es unter anderem als Gewinn, dass Frauen in Führungspositionen aus ihren Erfahrungen heraus urteilen. Das sollten auch Unternehmen begreifen. Kocsis ist seit 2007 stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende bei der Deutschen Post AG, eine von fünf Frauen gegenüber fünf Männern auf der Arbeitnehmerseite. Auf der Anteilseignerseite der Post sind es drei Frauen bei zehn Sitzen. "Frauen dienen gesamtgesellschaftlich als positive Vorbilder, die anderen Frauen zeigen, dass Frauen genauso wie Männer erfolgreiche Arbeit in Führungsverantwortung leisten können", sagt Kocsis. Stefanie Nutzenberger vom ver.di-Bundesvorstand sagt: "Frauen und Männer müssen die gleichen Chancen haben, in Führungspositionen zu kommen. Davon profitieren letztlich alle." Unterschiedliche Kompetenzen würden genutzt, Vorurteile aufgebrochen. Alles Schritte auf dem Weg zur Gleichheit.