Christiane Rösinger: Lieder ohne Leiden

Es ist eine der großen Ungerechtigkeiten in dieser ungerechten Welt, dass Christiane Rösinger noch kein Popstar ist. Eine Überraschung ist es aber auch nicht: Mit schlauen Liedern über echte Menschen und deren Probleme ist es schwer, in den Charts ganz nach oben zu klettern. Die treue Fangemeinde der 56-Jährigen wird das zweite Solo-Album der Berlinerin, die als Sängerin der Lassie Singers und von Britta bekannt wurde, trotzdem zu schätzen wissen: Wie gewohnt seziert Rösinger mit wachem Blick den deutschen Alltag. Diesmal widmet sie sich der Gentrifizierung (Eigentumswohnung), hinterfragt ironisch den Silver-Surfer-Trend (Joy of Ageing) oder tritt den weißen alten Männer hinterher (Was jetzt kommt). Während Rösinger der gesellschaftlichen Wirklichkeit den Puls fühlt, ergeht sie sich nie in hohlen Phrasen, sondern beweist erneut, dass kaum jemand in diesem Land das Dilemma des Lebens in solch simple und doch hellsichtige Sätze zu packen versteht: "Menschen gehen Dir auf die Nerven und Du hast sie doch so gern", singt Rösinger mit ihrer markanten kehligen Stimme im Titelsong. Ihre Texte waren allerdings schon immer großartig. Was neu ist: Dass sie in Zusammenarbeit mit Ja, Panik-Sänger Andreas Spechtl sich nun traut, das Indie-Ghetto zumindest bisweilen hinter sich zu lassen und einzelne Lieder mit Klavier und Bläsern in üppige Popsongs zu verwandeln. Aber es ist zu befürchten, dass Christiane Rösinger trotzdem niemals ein Popstar werden wird. Thomas Winkler

CD, STAATSAKT/CAROLINE INTERNATIONAL


Sohn: Rennen

Sanft pulsierend, ruhelos hämmernd, träumerisch fließend: Sukzessive konstruiert der in Wien lebende Brite Sohn seine Klanggebäude aus Bass und Beat, die er mit seiner Soulstimme glasiert, die es bis ins Falsett schafft. Dabei lotet er aus, wie er die Brutalität der Maschine und die Sanftheit seiner Stimme unter einen Hut bekommt. Mit seinem 2014er Debüt Tremors ging er weltweit durch die Decke, "rannte" von Bühne zu Bühne zu Projekt; Stars wie Rihanna und Lana Del Rey rissen sich um eine Zusammenarbeit mit dem songschreibenden und produzierenden Multitalent. Auch für die Arbeit am Album Rennen hat sich Christopher Taylor aka Sohn nur einen Monat ins kalifornische Exil begeben. Und dieses Rennen, man spürt es. Insbesondere beim stärksten Track des Albums Falling möchte das Herz die ungesunde Frequenz des Beats annehmen, rastlos wollen die Beine nur eins: laufen. Nach viereinhalb Minuten wird man aus seinem kopflosen Griff befreit, dreht sich atemlos um und betrachtet die Strecke, die man zurückgelassen hat, und merkt, dass man sich keinen Zentimeter bewegt hat. Erschöpft kann man zurückskippen und sich in die sanften Soundkissen von Signals fallen lassen oder sich einfach neue Energie mit dem politischen Conrad zuführen, das mit zu Instrumenten umfunktionierten Küchengeräten vom zerfallenden Europa erzählt. Feline Mansch

CD, BEGGAR'S BANQUET


Tinariwen: Elwan

Kakteen, Sand und Luft, die in der Hitze flirrt. Der Joshua Tree National Park in Kalifornien ist die pittoreske Umgebung des Studios, in dem Tinariwen ihr achtes Album Elwan aufgenommen haben. Weit entfernt von Mali, aber doch so nah wie möglich: Denn zurück in ihre Heimat, die Sahara im Norden des Landes, können die Tuareg-Musiker nicht mehr, seit dort Islamisten und Warlords wüten. In der kalifornischen Wüste fanden die unfreiwilligen Exilanten aber nicht nur allerbeste Studiotechnik vor, die schon Stars wie PJ Harvey, Foo Fighters oder Iggy Pop nutzten, sondern auch eine Landschaft und Atmosphäre, die sie ans verlorene Zuhause erinnert haben dürfte. Folgerichtig ist auch auf Elwan jener patentierte Wüstenrock mit afrikanischen und arabischen Einflüssen zu hören, mit dem Tinariwen zu einem weltweit beachteten Phänomen wurden. Obwohl die Band von einigen Gästen aus der Americana- und Roots-Musik unterstützt wurde, hat sich ihr Klangbild nur unwesentlich verändert: Die Gitarren flimmern wie die Luft über dem heißen Sand, die Perkussion ist meditativ und der Gesang zum Steinerweichen. Nur: Diesmal wird die Heimat nicht besungen, sondern ihr Verlust beklagt. Thomas Winkler

CD, WEDGE/PIAS/COOPERATIVE/ROUGH TRADE