Ausgabe 03/2017
Sprechende Medizin
Lili Kilian, 49, Krankenschwester in der Psychiatrie und Personalratsvorsitzende, Weinsberg, Baden-Württemberg
Bei uns in der Psychiatrie im Klinikum am Weissenhof gilt: Ich bin nicht Schwester Lili, sondern Frau Kilian. Und das finde ich gut so. Es bedeutet: Ich bin auf Augenhöhe mit Ärzten, Therapeuten - und Patienten. Der Kranke ist ja auch nicht "Patient Stefan", sondern Herr Müller.
Die Beziehung zu den Patienten ist bei uns in der Psychiatrie besonders wichtig. Wir sind die sprechende Medizin, das sage ich oft, auch meinen Krankenpflegeschülern. Ich muss mir das Vertrauen erst verdienen, das ist wichtig. Wir klären die Patienten auf, über ihre Situation, darüber, was wir tun und warum, welche Medikamente nötig sind, und was sie selbst tun können, um gesund zu werden. Wir nennen das Psycho-Edukation. Die Beziehungsarbeit beginnt, wenn der Kranke die Station betritt. Ich begrüße ihn und versuche zu erspüren, ob er Angst hat, angespannt ist, vielleicht halluziniert. Ich muss ihm klarmachen: Hier ist er sicher. Wir können ihm helfen.
Ich arbeite auf einer Akut- und Aufnahmestation mit 28 Betten. Wenn mein Dienst auf der Station um 6 Uhr früh anfängt, weiß ich nie, was der Tag bringt. Zwar gibt es auch bei uns den üblichen Rhythmus mit der Übergabe vom Nachtdienst an den Frühdienst, Visiten, Medikamentenausgabe, Frühstück, Mittag- und Abendessen - wie überall im Krankenhaus. Aber da wir eine Aufnahmestation sind, kann in jedem Moment, Tag und Nacht, ein neuer Patient kommen, der sofort Hilfe braucht. Oder er wird hergebracht, von besorgten Angehörigen, manchmal auch von der Polizei, wenn er aggressiv ist und sich oder andere gefährdet. Immer häufiger werden Patienten auch mit einer Zwangseinweisung zu uns gebracht. Manchmal steht ein Mensch vor mir, der halluziniert. Das kann viele Gründe haben: Gehirntumor, Alkoholdelir, Drogen... Oft findet man erst im Laufe der Diagnostik heraus, woran derjenige leidet. Als letztes Mittel müssen wir bei sehr erregten, aggressiven Patienten auch Zwangsmaßnahmen anwenden, um den Kranken überhaupt versorgen zu können. Um das schonend zu können, nehmen wir regelmäßig an Deeskalationstrainings teil. Die helfen uns auch, gefährliche Situationen frühzeitig zu erkennen und abzuwenden.
Wir behandeln in der Allgemeinpsychiatrie Menschen zwischen 18 und 65 mit akuten seelischen Störungen, meist sind es schizophrene, bipolare und depressive Störungen und akute Lebenskrisen. Auf der Station liegen oft auch Kranke nach einer Operation, denen es körperlich schon besser geht, die aber psychisch krank sind. Deshalb arbeiten wir auch mit Chirurgen, Hebammen und Orthopäden zusammen. Die gute Zusammenarbeit, unser multiprofessionelles Team mit Ärzten, Pflege, Ergotherapie und Sozialdienst - das ist das A und O. Anders wäre die Arbeit nicht zu schaffen. An guten Tagen sind wir auf der Station in der Pflege früh zu fünft, mit Krankenpflegeschülerin, jemandem im Freiwilligen Sozialen Jahr oder einem Praktikanten. Unser Ziel ist, dass vier examinierte Pflegekräfte da sind, aber das klappt selten. Zu viel Zeit geht täglich für die vorgeschriebene Dokumentation drauf.
Protokoll: Claudia von Zglinicki