Präsident Macron sagt, wo es jetzt langgeht in Frankreich. Seine Rede vor den beiden Kammern des Parlaments hielt er am 3. Juli im Schloss Versailles

In Frankreich ist ein Wunder geschehen: Wie durch Zauber hat sich der Wirtschaftsminister der unpopulärsten Regierung der Republikgeschichte plötzlich in einen blutjungen Newcomer verwandelt. Obwohl die überwiegende Mehrheit der Bürger/innen sein Programm ablehnt, ist es ihm gelungen, Präsident zu werden: Gewählt wurde nicht für Macron, sondern notgedrungen gegen die rechtspopulistische Politikerin Marine Le Pen.

Hinzu kam, dass plötzlich die "sozialistische" und die "republikanische" Partei, die das Land über ein halbes Jahrhundert wechselseitig regiert hatten, Harakiri begangen: Ohne Zögern schlossen sich deren noch präsentable Amtsträger Macrons politischem Start-up an, das sich selbst "weder links noch rechts" verortet - es ist nur noch wirtschaftsliberal. Wie in einer Firma wurde das Restpersonal der neuen Partei La République En Marche aus der Zivilgesellschaft per Bewerbungsbögen und Motivationsschreiben rekrutiert.

Häufig war von den linken wie den rechten Rändern ein Auswechseln der verrufenen politischen Klasse verlangt worden. Und dieses Auswechseln wurde nun von der radikalen Mitte inszeniert. Noch nie saßen so wenig professionelle Politiker in der nationalen Vertretung - und noch nie so viele Arbeitgeber. Jetzt verfügt Macron über eine fügsame absolute Mehrheit der Jasager im Parlament. Kurzum: Alles sieht anders aus, damit dieselbe Politik fortgesetzt werden kann.

Freilich gibt es einen Haken: Über die Hälfte der Franzosen haben sich bei der Wahl der Stimme enthalten. Das Land wird nun von einer Einheitspartei regiert, gegen die Millionen Wähler/innen, die sich nicht vertreten fühlen, Opposition nur mit außenparlamentarischen Mitteln ausüben können.

Niedrigere Löhne und Altersarmut

Unter diesen Voraussetzungen kann jetzt der Arbeitsmarkt noch radikaler umgebaut werden als mit dem Gesetz, das letztes Jahr auf heftige Widerstände traf. In Deutschland dürfte die "Macron-Revolution" vertraut sein: Im Grunde geht es um die Durchsetzung der Agenda 2010, die das Land auf den Weg des wirtschaftlichen Erfolgs bringen soll. Nur sind die Franzosen über die sozialen Nachwirkungen der deutschen Wirtschaftspolitik wohl informiert: Lohnsenkungen, wachsende Ungleichheit, Prekarisierung und Altersarmut.

Um eine frontale Ablehnung zu umgehen, wurden zwar die allgemeinen Prinzipien der "Flexibilisierung" in Macrons Wahlprogramm angekündigt, die konkreten Einzelheiten jedoch nur tröpfchenweise während der Treffen der Arbeitsministerin Muriel Pénicaud mit den Sozialpartnern preisgegeben: Lockerung des Kündigungsschutzes, Deckelung der Abfindungen, "Vereinfachung" des Rentensystems und so weiter und so fort. Bekanntgegeben werden soll der genaue Wortlaut des Gesetzes erst mit dem Erlass des entsprechenden Dekrets, wofür das Parlament der Regierung bereits eine Vollmacht ausgestellt hat. Passenderweise wird der Text mitten im Sommerloch vorliegen, genau dann, wenn viele Arbeitnehmer/innen am Strand liegen. Verfassungskonform werden dann beide Kammern dem Gesamtpaket zustimmen oder es ablehnen können. Änderungsanträge sind jedoch ausgeschlossen.

Streik- und Aktionstag am 12. September

Deutschland mag als Vorbild dienen, allerdings schießt das Kernstück des neuen Gesetzes weit über die hiesigen Bedingungen hinaus: Künftig sollen Arbeitszeit, Überstunden, Löhne, Sicherheitsbestimmungen nicht mehr wie üblich auf Branchenebene oder über alle Branchen hinweg vereinbart werden, sondern in jedem einzelnen Betrieb. Solch ein Abbau allgemeingültiger Regeln würde, so ein Journalist der Zeitung Die Welt, "selbst die deutschen Gewerkschaften auf die Barrikaden bringen".

Gegen diese Entmachtung der Gewerkschaften hat die CGT bereits einen "Streik- und Aktionstag in allen Betrieben" für den 12. September angekündigt. Das Problem ist aber: Seit diesem Jahr und zum ersten Mal in ihrer Geschichte ist die CGT nicht mehr die stärkste Gewerkschaft im Lande. Wegen des Mitgliederschwunds in der Industrie wurde sie von der Macron-freundlichen CFDT überholt.

In einer gemeinsamen Erklärung protestieren die übrigen Gewerkschaften (FO, Solidaires, UNEF und FSU) gegen "die Möglichkeit, Arbeitnehmer zu kündigen, die sich weigern würden, ihren bestehenden Arbeitsvertrag einer betriebsinternen Absprache anzupassen, selbst wenn diese nur von einer Minderheit akzeptiert wäre". Jedoch wollen sie auf die Endfassung des Gesetzes warten, ehe sie sich für den Arbeitskampf entscheiden. Nach der erfolglosen Bewegung im vorigen Jahr ist es ohnehin unsicher, ob genug Arbeitnehmer streikbereit sind.

Allerdings hat sich Emmanuel Macron schon für eine mögliche Konfrontation gerüstet. Amnesty International hat die Bürgerrechtsverletzungen und die Polizeigewalt angeprangert, die in jüngster Zeit in Frankreich gegen Demonstrant/innen, Gewerkschafter/innen, Journalisten und Sanitäter massiv zugenommen haben. Vorwand für dieses Verhalten war die Verhängung des Ausnahmezustands nach den Pariser Terroranschlägen gewesen. Mit einem neuen Gesetz hat Präsident Macron nun die Bestimmungen des Ausnahmezustands zum Regelfall gemacht.