Auch im fünften Jahr geben die Amazon-Beschäftigten keine Ruhe

Die Tage, an denen sie streiken, wählen sie genau aus. So auch Mitte November bei Amazons größtem deutschen Standort in Bad Hersfeld mit zwei Warenlagern. An einem "Black Friday" legten die Beschäftigten wieder die Arbeit nieder, in allen Schichten, einen ganzen Tag lang. Und weiter in der Angebotswoche, der "Cyber-Monday-Woche". Diese besonderen Verkaufsdaten kommen - wie der Handelskonzern selbst - aus den USA und bieten besonders hohe Rabatte. Sie liefern wirtschaftliche Kennziffern für den Start in den Weihnachtsboom. Und genau zu solchen Zeiten verweigern die Beschäftigten ihren Beitrag zu einem riesigen Geschäft auf ihre Kosten, streuen Sand ins Getriebe der Profitmaschinerie. Sie tun das seit über vier Jahren immer wieder, wenn der Umsatz brummen soll, kurzfristig, unangekündigt, eintägig, mehrtägig, oft aus der Schicht heraus, im Zusammenspiel mit anderen Standorten. "Bei Amazon haben die Kolleginnen und Kollegen den Streik zu einer hohen Kunst entwickelt", sagt Mechthild Middeke, die die "Amazonen" in Bad Hersfeld von Anfang an gewerkschaftlich begleitet.

Das ist auch notwendig, um einen solchen langen Atem zu behalten. Mechthild Middeke erinnert sich noch genau an den 9. April 2013. Damals brachte der Arbeitgebervertreter in Tarifgesprächen sehr deutlich zum Ausdruck, dass keinerlei Wille besteht, die Gewerkschaft als Verhandlungspartnerin zu akzeptieren. Alles sollte, wenn überhaupt, streng betriebsintern abgehandelt werden. Heißt: keine Anerkennung des Tarifvertrags Einzelhandel, weder was das Entgelt, noch was die Arbeitsbedingungen anbelangt. Der Patron möchte nach eigenem Gutdünken die Brosamen verteilen. Geht gar nicht, sagen die Beschäftigten.

...und können nicht anders

Auch schon am Brückentag vor dem Reformationstag wurde daher in allen Schichten gestreikt. Hier stehen wir, wir können nicht anders, sagten über 500 Streikende und formulierten die Luther-Thesen neu: "Warum scheut Jeff Bezos das Gespräch mit den Gewerkschaften wie der Teufel das Weihwasser?" Der hier angeklagte "Papst" ist der Gründer von Amazon und gegenwärtig der reichste Mann der Welt. Er wurde vom Internationalen Gewerkschaftsbund zum "schlechtesten Chef der Welt" gekürt. Daher lautete eine weitere These: "Man soll die Kolleginnen und Kollegen ermutigen, sich für ihre Arbeitnehmerrechte bei ver.di zu engagieren, und sie nicht mit schwachen Vergünstigungen für das Management gefügig machen."

Dass diese Thesen noch umgesetzt werden müssen, zeigt die Kluft zwischen tariflichem Anspruch und Realität bei Amazon. Sie ist immer noch beträchtlich, schwankt in den einzelnen Gehaltsstufen zwischen 27 Prozent beim Einstieg und 13 Prozent bei höheren Stufen. Und das, obgleich durch die Kämpfe der vergangenen Jahre beträchtliche Fortschritte erzielt werden konnten. Dazu gehört auch ein Weihnachtsgeld, immerhin - allerdings noch ein ganzes Stück weg vom Tarifvertrag. Beides, bereits Erkämpftes und das Ziel Tarifvertrag, kräftigen die Ausdauer, Standfestigkeit und die hohe Beteiligung der Beschäftigten.

Gesundheitsschutz statt Bonus

Ende November kam nun eine weitere Forderung auf die Tagesordnung. Bernhard Schiederig von ver.di Hessen machte ein Verhandlungsangebot zum Thema Gesundheitsschutz. Das ist schon seit längerem ein Thema auf den Streikversammlungen. Denn die Arbeitsbedingungen bei Amazon machen krank. Die krankheitsbedingten Fehlzeiten liegen höher als in vergleichbaren Lagern. Um sie zu senken, dachte sich die Geschäftsleitung den Gesundheitsbonus, besser die Anwesenheitsprämie, aus. Sie wirkt sowohl individuell als auch auf die Gruppe bezogen. Man kann sich leicht vorstellen, wie sich das auf das Klima in der Belegschaft auswirkt. Gegenvorschlag von ver.di: Unter dem Stichwort "Gute und gesunde Arbeit" wird eine paritätisch besetzte betriebliche Gesundheitskommission eingerichtet, in der natürlich auch die Gewerkschaft vertreten ist. Sie verwaltet einen Fonds, der entsprechende Gesundheitsprogramme auflegt. Bis diese Forderungen erfüllt sind, wird es in Bad Hersfeld wohl noch öfter heißen: Amazon! ... wir können nicht anders.