Walther Rode: Deutschland ist Caliban

Die Nationalsozialisten haben seine Bücher und seine Freunde so gründlich verbrannt, verjagt oder getötet, dass der einst berühmte und wegen seines Temperaments berüchtigte Wiener Anwalt, Justizkritiker und Schriftsteller Walther Rode über Jahrzehnte vollständig in Vergessenheit geraten war. Dem Anwalt Gerd Baumgartner, dem in einem Antiquariat Rodes Bändchen Justiz in die Hände gefallen war, ist es zu verdanken, dass Rodes wütendes, hoch literarisches Werk heute überhaupt wieder zu lesen ist. Die Edition Tiamat hat nun sein letztes Buch Deutschland ist Caliban, das Rode in seinem letzten Lebensjahr 1934 geschrieben hat, herausgegeben und erneut in die Welt geschickt. Und die kann es gut gebrauchen.

Rodes Schriften, seine Essays und polemischen Analysen des nationalsozialistischen Deutschen sind reine Kampfansagen, die er - wie wir aus dem interessanten Vorwort von Verleger Klaus Bittermann erfahren - noch im Juni 1933 in Gesellschaft Tucholskys und Ernst Rowohlts unter dem Einfluss eines guten Schlückchens in die nächtlichen Gassen seines Exils Zürich brüllte. Vier Jahre später war keine seiner Schriften mehr in deutschen Buchhandlungen zu finden. Caliban, was heute zuerst an Taliban denken lässt, ist eine Figur aus Shakespeare's Der Sturm, und er ist ein wahrer Unhold. Ganz triebgesteuerte Natur, ist mit ihm wie mit dem Nazi weder zu reden noch zu räsonnieren, nur "sklavische Unterdrückung", davon war Rode zutiefst überzeugt, vermag das Ungetüm im Zaum zu halten. Schon deshalb hielt Rode die Idee für völlig abwegig, mit Rechten zu reden, und analysiert sich in den unterschiedlichen Kapiteln in Rage. Er selbst nannte sein Buch im Untertitel "Ein Pamphlet gegen den Hinterwäldler aus Braunau und die Deutschen aus dem Jahr 1934" und löste das Versprechen dieses speziellen Stilmittels in jeder Zeile ein. Zornig, aber intellektuell messerscharf, nimmt er die Auftragsarbeit Es werde Deutschland auseinander, in der der Nazikarrierist Friedrich Sieburg dem Ausland die Vorzüge des nationalsozialistischen Deutschen nahebringen sollte. Sieburg definierte ihn in erster Linie als reines Naturprodukt, das eben nicht anders kann, als seiner Bestimmung zu folgen, und dabei aber kraft seiner Wassersuppe privilegiert ist, die Menschlichkeit nur als eine von vielen Handlungsoptionen zu begreifen.

Schon bald darauf begann Rodes Abstieg. Seine Kanzlei wurde boykottiert und er arbeitslos. Im Schweizer Exil lebte er vom Schreiben, unter anderem des Caliban. Seine österreichischen Landsleute wusste er längst an die Nazis verloren, und dass Deutschland als Caliban dem Untergang geweiht war, daran gab es für ihn keinen Zweifel. Dass es noch weitere elf Jahre des Grauens dauern würde, hat er nicht erlebt. Bei einem Fest sank der streitbare Lebemann, 58-jährig und eine Tänzerin bewundernd, plötzlich zusammen und hauchte sein letztes Wort: "Finalmente!" Jenny Mansch

VERLAG EDITION TIAMAT, MIT EINEM VORWORT VON KLAUS BITTERMANN, 192 S., 16 €


Wlada Kolosowa: Fliegende Hunde

Oksana und Lena sind 16 und wachsen in Krylatowo auf - einer imaginären Vorstadt von St. Petersburg. Sie sind Freundinnen und teilen ihre Sehnsüchte und Träume. Doch eines Tages trennen sich ihre Wege. Lena bricht nach Shanghai auf, um Model zu werden, und Oksana findet ihr neues "Zuhause" in einem verbotenen Internetforum für essgestörte Mädchen, wo sie mit Gleichgesinnten Diätrezepte austauscht. Dort wird sie bald zu einer Instanz mit ihrer "Leningrad-Diät", bei der man nur so viel essen darf wie die Menschen zur Zeit der 900-tägigen Blockade von Leningrad, während der eine Million Menschen verhungerten. Zur gleichen Zeit wird Lenas Traum von einer Modelkarriere im fernen Shanghai zu einem Alptraum. Mit anderen Mädchen eingepfercht in einer schäbigen Unterkunft muss sie sich im Akkord für chinesische Pyjamafirmen fotografieren und nach Feierabend bei Partys beglotzen und begrabschen lassen. Aus Scham erzählt sie nicht einmal ihrer besten Freundin davon. Ein Roman, der mehr ist als eine Geschichte des Erwachsenwerdens. Wlada Kolosowa versteht es auf kluge Weise, russische Geschichte und Gegenwart lässig und trotzdem berührend miteinander zu verknüpfen. Marion Brasch

ULLSTEIN VERLAG, 224 S., 20 €


Horst Eckert: Der Preis des Todes

Was hat die TV-Moderatorin eines Polit-Talks mit dem größten Flüchtlingslager der Welt in Kenia zu tun? Zunächst einmal gar nichts. Doch Horst Eckert skizziert in seinem neuen Thriller brisante Zusammenhänge: zwischen Sarah Wolf, der Moderatorin, Christian Wagner, einem Bundestagsabgeordneten, einem Pharmakonzern und Dadaab, dem Camp mit mehr als 500.000 Bewohnern. In hohem Tempo und auf schnell wechselnden Schauplätzen schildert Eckert, wie zynisch das TV-Geschäft abläuft. Sarah Wolf eckt mit ihrer kritischen Sendung an, spürt permanent den Quotendruck und muss hinnehmen, dass Politiker Einfluss auf ihr Programm nehmen. Doch die taffe Moderatorin gibt nicht auf: Als ihr Freund, ein Abgeordneter, unter mysteriösen Umständen stirbt, stürzt Wolf sich in die Recherche. Da mehrere Spuren nach Kenia führen, reist sie in das Flüchtlingslager. Unter dem Deckmantel der Wohltätigkeit einer Pharmastiftung werden die Bewohner des Camps Dadaabs ausgebeutet und ihre Organe verkauft. Ein spannender Polit-Thriller über Lobbyismus, tödliche Geschäfte und den Wert von investigativem TV-Journalismus. Günter Keil

WUNDERLICH, 416 S., 19,95 €