Für ihre Nachtarbeit stehen ihr höhere Zuschläge zu

Weil sie die Tageszeitung Weser-Kurier für den abgesenkten Zeitungszusteller-Mindestlohn plus 25 Prozent Nachtzuschlag austragen musste, verklagte eine Bremer Zustellerin ihre tariflose Zeitungslogistik-Firma. Der Rechtsstreit begann im August 2015 und zog sich durch alle Instanzen. Am 25. April 2018 urteilte das Bundesarbeitsgericht. Danach war zwar die Zahlung eines verringerten Mindestlohns für Zusteller/innen als „Übergangsregelung“ zulässig und verstieß nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz. In Sachen Zuschläge erhielt die Klägerin jedoch Recht.

Das ist eine Klatsche für den Zeitungslogistikbetrieb: Für die regelmäßige Nachtarbeit – die Zeitungen sollen vor 6 Uhr in den Briefkästen liegen – nur einen Zuschlag von 25 Prozent auf das Entgelt zu zahlen, sei zu wenig. Angemessen seien hingegen die von der Zustellerin geforderten 30 Prozent. Damit revidierten die höchsten Arbeitsrichter/innen die Urteile der Vorinstanzen und widersprachen auch anderen Arbeitsgerichten, die niedrigere Zuschläge, teilweise nur zehn Prozent, für rechtmäßig erklärt hatten. Das Bundesarbeitsgericht stellte klar, dass es sich bei der Zeitungszustellung keineswegs um eine leichte Arbeit handele und dass auch vier Stunden nächtlicher Tätigkeit die biologische Nachtruhe erheblich stören.

Die ver.di-Auffassung über die Zuschläge für Austräger/innen wurde damit voll bestätigt. „Man geht automatisch davon aus, Zeitungszustellung sei nur nachts möglich. Doch Nachtarbeit ist nur aus technischen Gründen oder nach Art der Tätigkeit unvermeidlich, etwa bei Rettungsdiensten oder Feuerwehr. In der Zeitungszustellung ist die nächtliche Arbeit dagegen Teil des unternehmerischen Konzepts und rechtfertigt höhere Zuschläge“, begründet Rachel Marquardt, bei ver.di auf Bundesebene zuständig für Verlage und Medienwirtschaft.

„Wir empfehlen unseren Kolleginnen und Kollegen in der Zustellung, jetzt die 30 Prozent zu fordern“, so Marquardt nach dem Klageerfolg der Bremer Zustellerin. Auch andere Austräger/innen in Dauernachtarbeit hätten Anspruch auf den höheren Zuschlag, das gelte unabhängig davon, was im Arbeitsvertrag stehe. Lediglich Ausschlussfristen seien möglicherweise zu beachten.

In Sachen verringerter Zusteller-Mindestlohn hatte die Klage hingegen keinen Erfolg. Vor dem Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes zum 1. Januar 2015 hatten die Zeitungsverleger sogar die Pressefreiheit ins Feld geführt, um diese Ausnahme durchzusetzen. Danach konnten Zusteller/innen, die ausschließlich redaktionelle Blätter austrugen, von 2015 bis 2017 gestaffelt mit einem verringerten Mindestlohn abgespeist werden. Den Verlegern dürfte das nicht weniger als eine dreiviertel Milliarde Euro eingebracht haben, besagen Schätzungen.

Ob das rechtens war oder die Mindestlohnabsenkung ausschließlich für eine Berufsgruppe nicht doch diskriminierte, dazu könnte die Klägerin nun das Bundesverfassungsgericht befragen. Nachdem sie den sonstigen Rechtsweg ausgeschöpft hat, erwäge sie Verfassungsbeschwerde, so ihr Anwalt Simon Wionski.

Der Ausgang wäre um so interessanter, da CDU, CSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag zur „Sicherung der bundesweiten Versorgung mit Presseerzeugnissen“ bereits das nächste Millionengeschenk an die Zeitungsverleger vereinbart haben. Fünf Jahre lang sollen Arbeitgeber für ihre Zeitungszusteller/innen, die auf 450-Euro-Basis arbeiten, nur fünf statt 15 Prozent in die Rentenkasse einzahlen müssen. Noch ist nicht sicher, wer für die Differenz aufkommen soll.

Der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger geht davon aus, dass der Steuerzahler einspringt. ver.di fordert, dass die Sonderregelung nicht zu Lasten der Zusteller oder der Rentenkasse gehen darf. Und ver.di erwartet bekanntlich auch, dass die staatliche Mindestlohnkommission, die im Juni die Höhe für den gesetzlichen Mindestlohn ab 2019 vorschlagen wird, diesen kräftig erhöhen wird. „Eine Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns auf zehn Euro pro Stunde ist ökonomisch sinnvoll“ und werde keine Branche in Deutschland überfordern, sagte der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske. Aktenzeichen: 5 AZR 25 / 17