Sophie Hunger: Molecules

Sophie Hunger ist Schweizerin. Und sie ist der größte Popstar, den die Schweiz hervorgebracht hat seit, ähem: DJ Bobo. Allerdings lebt Hunger seit drei Jahren in Berlin. Und auf Molecules ist das erstmals überdeutlich zu hören. Das sechste Album der 35-Jährigen beginnt mit einem nervös grummelnden Electro-Beat, das erste Stück She Makes President könnte um vier Uhr morgens in einem jener Clubs laufen, in denen Hunger ihre Berliner Nächte zubringt. Gleich anschließend, mit der Akustikgitarren-Ballade Silver Lane, kehrt sie zwar zurück zu ihrer Kernkompetenz, der handwerklich hervorragenden, melodiegetriebenen Popmusik mit Chanson-Charakter. Aber: Die von ihr gewohnten Ausflüge in den Jazz fehlen ebenso wie die Songs in Französisch, Deutsch oder gar Schwyzerdütsch. Stattdessen alle Texte in Englisch und der Sound dermaßen beherrscht von der Elektronik, dass man feststellen muss: Sophie Hunger hat ihrem bereits so vielfältigen Portfolio nicht bloß eine weitere Klangfarbe hinzugefügt, sondern sie ist eine neue Sophie Hunger geworden. Eine, die im Club zuhause ist. Und die damit endgültig angekommen ist in Berlin. Thomas Winkler

CD, CAROLINE / UNIVERSAL


Ebony Bones: Nephilim

Man sollte sich nicht täuschen lassen: Wer Ebony Bones erblickt, steckt sie schnell in die Schublade für schrille Mode-Püppchen ohne Substanz. Extravagante Frisur, viel Make-up und kreischend-buntes Outfit: Bevor man zur Musik der 35-jährigen Sängerin, Musikern, Produzentin und Gelegenheitsschauspielerin aus London kommen kann, muss man erst einmal sehen. Und staunen. Aber dann auch gut zuhören. Denn so mutig und so konsequent in Eigenregie hat schon lange niemand mehr klappernden Rap, Tribal-Rhythmik und stadiongeeignete Refrains mit epischen Orchestereinlagen versöhnt, die vom Beijing Philharmonic Orchestra stammen. Musikalisch gewagter Pop, der auch noch politisch ist. Den Reggae-Klassiker Police & Thieves, schon von The Clash als Protest gegen Polizeigewalt reaktiviert, lässt Ebony Bones zu neuen Ehren kommen: Diesmal als extrem verzögerte, schläfrige Dub-Version, die gerade deshalb neue Sprengkraft entwickelt. Außerdem zu Gast sind Trump, der Brexit, die Zensur und die britische Fahne: „No Black In The Union Jack“ ist schon im Titel ihr Kommentar zum Rassismus in ihrer angeblich so multikulturellen Heimat. Ja, man sollte immer genauer hinsehen. Thomas Winkler

CD, 1984 RECORDS / TUNECORE


Riccardo Tesi & Banditaliana: Argento

Riccardo Tesis Instrument ist das Organetto, das diatonische Knopfakkordeon. Da versteht es sich fast von selbst, dass er fest in der Volksmusik seiner italienischen Heimat verwurzelt ist. Toskanischer Walzer oder neapolitanische Tarantella? Ehrensache. Als Musikethnologe ist Tesi jedoch auch in etlichen anderen Musikkulturen zu Hause. Mit seiner vierköpfigen Banditaliana knüpft er so Verbindungen in alle Welt – zum Tango, zum Balkan und bis hin nach Afrika und Indien. Mit Argento („Silber“) feiert Tesi nun das 25-jährige Bestehen seines Quartetts. Und die Ideen gehen dem Akkordeonisten und seinen Kollegen an Gitarre, Saxophon, Gesang und Percussion nicht aus. Der Banditaliana gelingt das seltene Kunststück, folkloristische Bodenständigkeit und Coolness in Balance zu bringen. Behilflich sind ihr dabei eine Handvoll Gäste, unter anderem der international geschätzte sardische Trompeter Paolo Fresu. Zum Jubiläum gibt's Funk, Blues, aber auch Tänzerisches und Träumereien, alles mediterran und sommerleicht serviert. Peter Rixen

CD, VISAGE / GALILEO