Jaron Lanier: Zehn Gründe, warum du deine Social Media Accounts sofort löschen musst

„Social Media untergräbt die Wahrheit, tötet dein Mitgefühl, fördert prekäre Arbeitsverhältnisse und macht Politik unmöglich.“ Das sind nur vier von zehn Kernvorwürfen, die Jaron Lanier gegen Facebook, Google und Co. erhebt. Lanier ist der Guru des Internets, sein Wort hat Gewicht in der Netzgemeinde. Der frühe Atari-Pionier und Musikkomponist spricht in seiner pointierten, schnellen Streitschrift von „machtbesoffenen Technologiekonzernen“ und „manipulativen Werbetreibenden“, die ihren Usern ihre Inhalte aufzwingen – mit fatalen Folgen. Wer nur nach Klicks und digitaler Bestätigung giere, verliere den Kontakt zur Realität und passe sich dem verzerrenden, oft aggressiven Online-Ton an. „Möglicherweise verbringst du weniger Zeit mit deiner Familie als damit, dein harmonisches Familienleben in den sozialen Netzwerken zu präsentieren“, schreibt Lanier, der manchmal wie ein Soziologe argumentiert. Meist konzentriert er sich jedoch auf die technischen Aspekte.

Der prominente Kritiker und Informatiker sieht die größte Gefahr nicht grundsätzlich in der Technologie, sondern in deren kommerzieller Nutzung durch monopolartige Konzerne: „Herz der Methode ist eine bestimmte Art von Geschäftsmodell, das perverse Anreize ausspuckt und Menschen korrumpiert.“ Nur wenn möglichst viele Nutzer ihre Social Media Accounts löschten, so Lanier, entstünde Raum für neue, weniger fragwürdige Plattformen.

Was den Autor neben der umfassenden Überwachung der User besonders stört: Intransparenz. Denn niemand kennt die Geschäftspartner der Social-Media-Unternehmen und deren Ziele. Welche Schlüsse aus den Daten gezogen werden, die den Konzernen viel zu leichtgläubig geschenkt werden, bleibt im Dunkeln. Lanier warnt: Bürger/innen können in ihrem Wahlverhalten beeinflusst werden. Experimente haben bereits bestätigt, wie durch gezielte Postings die Wahrscheinlichkeit gesenkt wird, wählen zu gehen oder bestimmte Parteien zu unterstützen. Laniers Abrechnung ist nicht nur eine überzeugende Polemik, sondern ein Plädoyer für ein selbstbestimmtes Leben. Denn der Autor befürchtet das Verschwinden des freien Willens, „weil wir einen Großteil unserer Entscheidungsfreiheit an eine Firma und ihre Kunden übertragen.“ Der 58-Jährige teilt jedoch nicht nur kräftig aus, sondern belegt seine Thesen mit zahlreichen Studien und Zitaten. Ein Buch, das aufklärt und aufrüttelt. Günter Keil Verlag Hoffmann und Campe, übersetzt von Martin Bayer und Karsten Petersen, 208 S., 14 Euro


Katharina Adler: Ida

Als „Fall Dora“ wurde sie berühmt, eine von Siegmund Freuds Patientinnen, die „kleine Hysterikerin“. Auch auf ihrer Behandlung basieren seine Theorien zur Psychoanalyse. Nicht zuletzt die Übergriffigkeit durch einen Freund des Vaters hatte das Mädchen zum Professor gebracht. In Wirklichkeit hieß sie Ida, war die Schwester des Sozialisten Otto Bauer und stammte aus einer wohlhabenden, wenn auch schwierigen jüdischen Familie in Wien. Nun zeichnet ihre Urenkelin Idas Lebensweg nach. Ein Schicksal, in vielerlei Hinsicht typisch für ihre Generation, aber auch ganz eigen. Nach dem Ende des 1. Weltkrieges brachte sie ihre kleine Familie als Bridgelehrerin durch. Vor den Nazis floh sie mit Ottos Hilfe zunächst nach Frankreich, dann holte ihr Sohn sie nach abenteuerlicher Irrfahrt in die USA. Ein anrührender Roman über eine Frau, die – immer wieder auf sich allein gestellt – gezwungen war, stark zu sein, die darüber aber auch hart geworden ist. Und trotzdem bleibt sie unvergessen, dank der Schriften Freuds – und jetzt auch durch Katharina Adlers packende Erzählung. Tina Spessert

Rowohlt Verlag, 512 S., 25 €


Mark Thompson: El Greco und ich

1968. JJ ist zehn und erlebt mit seinem besten Freund Tony „El Greco“ Papadakis all die Abenteuer, die man in einer Kleinstadt in New Jersey erleben kann. Sie sitzen an den Docks und träumen von dem Tag, da sie den mächtigen Pazifik sehen werden, gegen den der Atlantik vor ihrer Haustür nur eine Pfütze ist. Zwei Jahre lang begleiten wir die beiden Freunde durch ein Leben, in dem viel gestorben wird. Ein Sohn kehrt nicht aus dem Vietnamkrieg zurück, ein Mann erschlägt im Affekt seine bibeltreue Frau, als sie sein Lieblingsbuch „Fänger im Roggen“ vor seinen Augen zerreißt, ein Junge aus der Nachbarschaft verunglückt tödlich mit dem Motorrad. Und dann ist da noch der wortkarge Old Man Taylor, der auf dem Friedhof arbeitet. Er ist es auch, der JJ beisteht, als El Greco an Leukämie erkrankt. Doch er wird die Krankheit überstehen, und der zweite Teil des Abenteuers beginnt. Die beiden Jungs fahren mit JJs Vater Richtung Süden. Sie sehen Frömmelei, Rassenhass, Reichtum, Armut – all das wird ihren Blick auf das Leben verändern. Mark Thompson hat mit diesem Roman nicht nur eine sehr unterhaltsame, abenteuerliche und berührende Geschichte über die Freundschaft zweier Jungen geschrieben, sondern auch ein durchaus bewegendes und verstörendes Porträt einer geteilten Nation. Marion Brasch Mare Verlag, Ü: Katja Scholtz, 226 S., 20 €