Die Oberpfalz, Anfang der 1980er. Der Schwandorfer SPD-Landrat Hans Schuierer bekommt überraschend Besuch vom bayerischen Umweltminister. „Ich hab‘ a paar Weißwürst’ mitbracht, aus München“, sagt der gönnerhaft. „Also wir, die bayerische Staatsregierung, bemühen uns derzeit um ein zukunftsweisendes industrielles Großprojekt, blitzsaubere Sache“, beteuert der CSUler. Und versichert: „Unseren Ministerpräsidenten liegen grad die strukturschwachen Gebiete am Herzen.“ Die auch „Steinpfalz“ genannte Region mit der höchsten Arbeitslosenquote gilt als „Armenhaus Bayerns“. Eine Wiederaufbereitungsanlage für Nuklearbrennstäbe soll Arbeitsplätze und Wohlstand bringen. Aber die wirtschaftliche Erlösungsfantasie verkauft sich schlecht. Die kreuzbraven Oberpfälzer wagen den Aufstand gegen die Arroganz der Macht. Und der Landrat Schuierer avanciert zum Flaggschiff des Widerstands, das sich von massiven Drohungen, Disziplinarverfahren und Konfrontationen mit dem damaligen Ministerpräsidenten Franz-Josef Strauß nicht vom Kurs abbringen lässt. Dass die CSU-Granden Gesetze mit Füßen treten, stachelt Schuierers Wut an. Die Schlacht um die Wiederaufbereitigungsanlage, WAA, in Wackersdorf in der Oberpfalz stärkte damals die Anti-Atom-Bewegung und markierte eine Zäsur in der bundesdeutschen Geschichte. Ohne Wackersdorf und das Scheitern der WAA gäbe es keinen Atomausstieg.

Regisseur Oliver Haffners packendes Politdrama über die Widerstandsbewegung ist eine Hommage an Landrat Schuierer, den Helden wider Willen. Gleichzeitig ist es aber auch ein Plädoyer für zivilen Ungehorsam, Mut und solidarischen Kampf. Denn der Widerstand ließ sich nicht spalten. Passend in den Film geschnitten ist dokumentarisches Material; diese Originalbilder elektrisieren. Besonders die Frauen wehrten sich damals stark gegen die Atomanlage. Die in Schwandorf aufgewachsene Anna Maria Sturm verkörpert eine der Umweltaktivistinnen. Seit ihrer ersten großen Rolle, der Kati in der Trilogie Beste Zeit – Beste Gegend – Beste Chance von Regisseur Marcus H. Rosenmüller, gilt die Wahl-Berlinerin als die junge Wilde des neuen bayerischen Heimatfilms. Doch nicht nur ihr rebellisches Spiel auf der Leinwand macht sie zur idealen Besetzung. Es ist viel mehr ihre Vergangenheit, die eigene Familie: Ihre Mutter, die damalige Vorsitzende der Oberpfälzer Bürgerinitiative, ehemalige bayerische Landtagsabgeordnete der Grünen und Biologin Irene Sturm, war selbst eine der Galionsfiguren der WAA-Widerstandsbewegung. Luitgard Koch

Deutschland 2018. R: Oliver Haffner D: Johannes Zeiler, Anna Maria Sturm, Peter Jordan, Fabian Hinrichs u. a., 123 Min., Kinostart: 20.9.18


Werk ohne Autor

Der Zweite Weltkrieg und die DDR prägen einen begabten Jungen, der erst nach seiner Flucht in den Westen zu einem großen Künstler heranreifen kann. Kurt heißt er im Film, aber eigentlich ist es die Geschichte des Dresdner Malers Gerhard Richter, der mit dem sozialistischen Realismus der Kommunisten haderte und seinen frühen Stil im Kreise Düsseldorfer Avantgardisten ausprägte. Von Donnersmarck macht sogar Joseph Beuys zu seinem Lehrer, über den man hier stärkere Einsichten gewinnt als in Andres Veiels preisgekröntem Dokumentarfilm. Aufwühlend wird das Zeitpanorama über die Konfrontation des werdenden Künstlers mit seinem Schwiegervater. Der als Gynäkologe behinderte Frauen sterilisiert oder ermordet hat, auch Kurts Tante. Und der massiv in das Liebesleben seiner Tochter eingreift, die er zu einer Abtreibung zwingt. Am Ende aber bringen Kurts wahrhaftige Porträts den teuflischen Mann aus dem Gleichgewicht. Kirsten Liese

D 2018. R. Florian H. von Donnersmarck. D: Tom Schilling, Sebastian Koch, Paula Beer, 188 Min., ab 3.10.18


Utøya, 22. Juli

Bis zum bitteren Ende schlägt einem hier das Herz im Hals. In einer einzigen Einstellung folgt die Kamera den Ereignissen des Sommers 2011 auf der norwegischen Insel, die das ganze Land traumatisierten. So setzt Regisseur Poppe den Gegenpol zu einer Berichterstattung, die den rechtsextremen Attentäter ins Zentrum gerückt hatte. Wenige wissen um das Grauen, das er den jugendlichen Teilnehmern des traditionellen sozialdemokratischen Sommercamps angetan hat. Den Überlebenden fällt es bis heute schwer, darüber zu reden, was es mit einem macht, von einem Massenmörder buchstäblich gejagt zu werden. Sie haben jetzt einen Film, der ihnen diese Last abnimmt. Die Insel Utøya mit seinen jährlichen Sommercamps war für die Norweger Synomym für die Abwesenheit von Gefahr. „Mach dir keine Sorgen, Mama“, sieht man das Mädchen Kaja ins Handy sprechen, „wir sind am sichersten Ort der Welt.“ Da war gerade das Osloer Regierungsgebäude explodiert, und ab jetzt folgen wir Kaja, in deren Figur sich alle akribisch recherchierten Opfer-Erzählungen exemplarisch verdichten, in ihrem Lauf ums Leben. Der Täter wird weder gezeigt noch genannt. Von ihm hören wir – wie die Gejagten selbst – 72 Minuten lang nur die Schüsse. Jenny Mansch

N 2018, R: Erik Poppe. D: Andrea Berntzen u. a., 93 Min., ab 20.9.18