Ausgabe 08/2018
Die erste Bohne
Dave Eggers: Der Mönch von Mokka
Ein junger Mann mit einer Mission: Mokhtar Alkhanshali, US-Bürger jemenitischer Abstammung, will den Kaffeemarkt revolutionieren. In seiner alten Heimat möchte er die Produktion hochwertigen Kaffees fördern, fairen Handel mit den Farmern betreiben und die kostbaren Bohnen importieren. Ein aberwitziger Plan, darin sind sich alle Experten einig. Doch Alkhanshali meint es ernst. Er lässt sich von der Legende inspirieren, nach der die erste Bohne einst in Mokka gebrannt wurde. Die jemenitische Hafenstadt verewigt der muslimische Unternehmer prompt in seinem Firmennamen „Port of Mokha“. Und das Unwahrscheinliche passiert tatsächlich: Alkhanshali gelingt es, vom armen Einwandererkind zum Kaffeeimporteur und Medienstar zu werden.
Soweit die Kurzfassung der märchenhaften Geschichte, die Dave Eggers erzählt. Der Autor von Der Circle betont im Vorwort, dass es sich um keinen Roman handelt. Sondern um „die Darstellung von Ereignissen, wie sie von Mokhtar Alkhanshali wahrgenommen und erlebt wurden“. Eine wahre Geschichte also. Eggers hat sich mehrfach mit dem ungewöhnlichen Unternehmer getroffen und ist mit ihm in den Jemen gereist. Der US-Autor hat sich von dessen Mission und der Geschichte des Kaffeeanbaus und -handels begeistern lassen. In Eggers Augen ist Alkhanshali ein Vorbild – einer jener Männer, die „durch unternehmerisches Engagement und beharrlichen Einsatz unentbehrliche Brücken zwischen Industrie- und Entwicklungsländern bauen“. Das Buch liest sich wie eine Antwort auf Donald Trumps Hetze gegenüber muslimischen Migranten. Auch Einwanderer aus dem Jemen, zeigt Eggers, können für den amerikanischen Traum stehen.Mokhtar Alkhanshali, der mit vier Geschwistern im San Franciscoer Viertel Tenderloin aufwuchs, hat seinen Traum verwirklicht. 2014 wurde er der erste arabische „Q-Grader“, ein zertifizierter Fachmann für die Qualität von Arabica-Kaffee. 2016 wurde der jemenitische Qualitätskaffee erstmals in allen Filialen einer US-Kaffeehauskette angeboten – eine Sensation. Auch deswegen, weil Alkhanshali zuvor zwischen die Fronten des Bürgerkriegs im Jemen kam, ins Gefängnis gesteckt wurde und schwerwiegende Finanzierungsprobleme hatte. Von diesem Abenteuer erzählt Dave Eggers in einer dokumentarischen Sprache. So entsteht eine Mischung aus Sachbuch, Porträt und Plädoyer für soziales Unternehmertum. Günter Keil
Kiepenheuer & Witsch, aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann, 384 S., 22 €
Mary Ann Shaffer & Annie Barrows: Deine Juliet
Wer Freude an britischem Humor hat, wird sich schon bei dem Namen „Club der Guernseyer Freunde von Dichtung und Kartoffelauflauf“ amüsieren. Lernt er dann die liebenswerten, skurrilen, einzigartigen Mitglieder dieser unter der Not der deutschen Besatzung auf der britischen Kanalinsel entstandenen literarischen Solidargemeinschaft kennen, ist es um ihn geschehen: Selten las ich einen charmanteren, witzigeren, berührenderen Briefwechsel im Geiste Jane Austens, den die junge Londoner Schriftstellerin Juliet Ende der 40er Jahre mit den Club-Mitgliedern, ihrem Verleger und ihrer Freundin führt. Juliet offenbaren die Insulaner nach und nach die nachhaltigen Wunden und Verheerungen durch die (kaum bekannte) brutale deutsche Besatzung, behutsam kommt die bald in Guernsey lebende Juliet den auf ihre Art widerständigen und mutigen Dorfbewohnern nahe. Vor allem das Leben von Elizabeth, die einen Deutschen liebte, ein Kind bekam, nach Ravensbrück verschleppt und dort ermordet wurde, bewegt Juliet und die Leser. Trotz herzzerreißender Schicksale bleiben die unangestrengte Leichtigkeit des Tones und der hinreißende Humor. Das Büchlein passt dank Kleinformat in jede Hosen- oder Handtasche. Die gleichfalls empfehlenswerte Verfilmung kam im August in die Kinos. Ulla Lessmann
btb, Ü: Margarete Längsfeld u. Martina Tichy, 304 S., 10 €
Nora Krug: Heimat
Viele Menschen wenden sich in ihrem Leben irgendwann der eigenen Familiengeschichte zu. Manch einer schreibt seine Memoiren, auch wenn sie aufgrund mangelnden öffentlichen Interesses nur die Schublade zu sehen bekommt. Aber durch die deutschen Familien geistern sie nun mal bis heute, die Täter und die Opfer, die Mitläufer und Duckmäuser, die verschwiegenen und verdrängten Gräuel der Hitlerzeit. Nora Krug hat mit ihrem „deutschen Familienalbum“ einen neuen Ansatz ausprobiert und illustriert unter dem deutschen Titel Heimat in Bild, Text, Grafiken, Kopien und Fotos die eigene Recherche ihrer ganz persönlichen Familiengeschichte, aber auch ihrer eigenen Kindheit, in der sie bereits die rätselhaften Zeichen einer zerstörten Vergangenheit wahrnimmt. Nora Krug lebt in New York und ist erst in den Vierzigern. Es waren wohl die Begegnungen der Deutschen mit Juden, die die KZs überlebt hatten und in Amerika eine neue Heimat finden mussten, die einen Anstoß dafür gaben, sich künstlerisch mit dem Fremd- und dem Selbstbild der Deutschen auseinanderzusetzen. Gelungen ist ihr ein wunderbares Buch zum (gemeinsamen) Blättern, Entdecken, zum Weitervererben und zum Verschenken. Jenny Mansch
Penguin Verlag 2018, 288 S., 28 €