Die gute Nachricht ist: Ich lebe in der besten Zeit, die es je für Frauen gab. Viel, von dem meine Oma noch nicht einmal geträumt hätte, ist für mich selbstverständlich. Meine Oma war Bäuerin in Schwaben und, wie man bei uns sagt, „hosch du n Hof, hosch du Viecher, kosch du net fort!“ übersetzt: Hast du einen Bauernhof, hast du Tiere, dann kannst du nicht weg! Noch übersetzter: Meine Oma war ihr ganzes Leben lang nie im Urlaub. Das blieb auch so, als die Tiere nicht mehr das Hauptgegenargument waren. Da überredete sie nämlich meinen Opa in mühsamer Kleinarbeit zu einer Woche Zillertal mit Halbpension.

Die Aufregung war groß, es wurden Pläne gemacht, Koffer gepackt und Stullen für die Fahrt geschmiert. Aber kurz vor der Abfahrt fragte mein Opa: „Wär es net doch besser, wenn wir abends im eigenen Bett schlafen würden?“ Opa hatte kalte Füße bekommen und sagte mit dieser rhetorischen Frage Omas ersten und einzigen Urlaub ihres Lebens last minute ab. Einfach so.

An der Art, wie sie die Geschichte erzählt, merke ich, dass sie damals wütend war, traurig und enttäuscht, aber auf Opas Absage folgte keine Scheidung, es flog kein Geschirr, es gab nicht mal größeren Streit. Denn Opa war kein Arschloch, im Gegenteil, er war einfach wie die meisten Männer damals, der Herr im Haus, der Bestimmer. Es waren die 60iger Jahre. Von den über 500 Abgeordneten des Bundestages waren nur gut 30 Frauen. In einer Ehe mussten Frauen den Mann um Erlaubnis bitten, wenn sie arbeiten wollten, und das meist in den sogenannten „Leichtlohngruppen“, wo sie für dieselbe Arbeit deutlich weniger Geld bekamen als die Männer.

Als ich die Geschichte des abgesagten Urlaubs in einer Talkshow erzählte, rief meine Oma mich hinterher an: „Katrin, wenn du die Gschicht scho im Fernseher erzählsch, dann sag wenigschtens dazu, dass wir aber scho Tagesausflüge gmacht hen. Wie sieht das denn sonst aus?!“

Meine Mutter würde sich von einem Mann schon nicht mehr so einfach den Urlaub absagen lassen, aber sie würde auch nicht alleine zu einer Fernreise aufbrechen, sie tut sich noch immer schwer, etwas zu reklamieren oder dem Kellner zu sagen, dass die Suppe versalzen war. Die Türen, die ihr in der Jugend offenstanden, führten am ehesten in ein Kinderzimmer oder in ein Vorzimmer, und entsprechend wurde sie auch meine Mutter und Sekretärin.

Sie wuchs in den 70igern auf, als der Paragraf 218 neu geregelt wurde, und somit Abtreibungen zum ersten Mal nicht mehr durchweg verboten waren. Die ersten Frauenhäuser eröffneten, und im Bundestag war jetzt bereits jeder zehnte Abgeordnete eine Frau.

Als ich 2002 zum ersten Mal wählen durfte, war ich längst alleine in den USA gewesen und eine gute Freundin gerade mit dem Rucksack unterwegs durch Indien; ich war fest entschlossen, die Welt aus den Angeln zu heben, denn mir standen jetzt wirklich alle Türen offen. Auch die Haupteingänge. Der Frauenanteil im Bundestag lag schon bei einem Drittel, Vergewaltigung in der Ehe war seit 1997 strafbar, und zwei Jahre zuvor war die Fristenlösung bei Schwangerschaftsabbrüchen Gesetz geworden. Eine Scheidung war für Frauen nicht länger eine finanzielle Katastrophe, und Feminismus hieß jetzt auch girl power und sah aus wie die Spice Girls.

Benachteiligung von Frauen war wie rauchen. Zu Omas Zeiten allgegenwärtig, später zunehmend kritisch betrachtet und letztlich dann in der Öffentlichkeit einfach verboten. Ich lebte in der besten Zeit, die es je für Frauen gab, und dachte, das Ziel ist schon am Horizont erkennbar. Noch ein paar Jahre, dachte ich, dann ist das mit der Gleichberechtigung kein Thema mehr. [...] Dann gibt’s auf der Welt noch immer genug zu tun, aber wir hier, wir sind dann durch. Aber Menschen sind keine Computer, wir haben keine Betriebssysteme, bei denen die nächste Generation immer besser ist als die davor und die alten Fehler ein für alle Mal korrigiert wurden.

Ich war auf einer Baby Shower. Eine aus den USA importierte Idee, eine Art Junggesellinnenabschied für werdende Mütter, und entsprechend waren meist nur Frauen eingeladen. Auch in diesem Fall war der einzig männliche Gast sieben und der Sohn der Gastgeberin. Ich war mit Mitte 30 zwar im selben Alter wie die meisten, aber noch kinderlos und unverheiratet und damit in der absoluten Minderheit. Von den verheirateten Frauen hatten acht von neun den Namen des Mannes angenommen. „Ihm war es wichtig, mir war es egal“, „wir haben das diskutiert, ich hab am Ende nachgegeben“, „das macht man doch so“. Nur in einem Fall war der Mann in Elternzeit gegangen, ansonsten blieben die Mütter beim Kind. „Er verdient einfach mehr“, „es geht karrieretechnisch gerade nicht anders“, „wir haben einfach keine Kita gefunden“, „aber am Wochenende bringt er die Kleine ins Bett“.

Ich kenne die beteiligten Männer. Es sind keine Arschlöcher. Sie sind nur so wie die meisten Männer. Die anwesenden Frauen hielten sich für modern und gleichberechtigt, aber eher nicht für Feministinnen. Feminismus klang ihnen irgendwie zu gestrig. Wie Mäntel mit Schulterpolster. Das hat man doch gar nicht mehr!

Die Tochter einer der eingeladenen Mütter hatte ihr Fahrrad mitgebracht, es war rosa mit einer Einhornhupe. Sie wollte mit den Legos des Siebenjährigen spielen, stellte dann aber fest, dass er weder den Beauty-Salon oder den Reiterhof hatte noch die „Shopping-Mall“, und befand sein Lego damit für unspielbar.

Ich googelte zu Hause den Frauenanteil im Bundestag. Seit meiner ersten Wahl war er leicht gefallen. Der Anteil von Frauen in Führungsetagen liegt aktuell bei neun Prozent. Mädchen bekommen weniger Taschengeld als Jungs, Frauen für denselben Job noch immer weniger Gehalt als Männer.

Kurz danach kam #metoo, und auch in den Kommentaren meiner sozialen Medien herrschte plötzlich ein rauer Ton. Die 50iger Jahre hatten sich digitalisiert und waren wieder auferstanden. Auch moderatere Stimmen fanden, Frauen sollten jetzt auch endlich mal zufrieden sein. Wer schon einen Preis an der Losbude gewonnen hat und trotzdem noch weiter mitspielt, ist einfach nur unverschämt. Auch wenn der Preis letztlich nur ein Trostpreis ist. Der Fortschritt ist kein automatisches Update. Er muss immer wieder aufs Neue erkämpft werden. Von allen. Egal wie.

Das Gute ist: Man muss nirgends beitreten, um dabei zu sein, man braucht keine Uniform, man kann sich für Mode interessieren und Crémant trinken, und trotzdem Feministin sein. Man kann guten Sex haben oder gar guten Humor und trotzdem Feministin sein. Es ist kein Luxus, es ist Notwendigkeit. Sprecht mit den Müttern und Omas und zieht eure eigenen Schlüsse. Ich jedenfalls will nicht, dass meine potentielle Enkelin in fünfzig Jahren über mich sagt, dass ihre Oma in der besten Zeit gelebt hat, die es je für Frauen gab. Das wäre dann eine sehr schlechte Nachricht. Vielleicht hat ihr Mann ihr nämlich gerade den Urlaub abgesagt.Katrin Bauerfeind ist Autorin, Moderatorin und Schauspielerin; das Buch „The future is female“ ist auf Deutsch im Goldmann Verlag erschienen, Übers.: A. Althans, K. Harlaß, E. Link,K. Lohmann, J. Ott, S. Zeitz, 12 €, ISBN 978-3-442-15982-⁠6

Der Anteil von Frauen in Führungsetagen liegt aktuell bei neun Prozent. Mädchen bekommen weniger Taschengeld als Jungs, Frauen für denselben Job noch immer weniger Gehalt als Männer.