Um sich wie eine Prinzessin zu fühlen, reicht manchmal eine einfache Papierkrone. Die Fotos auf dieser Seite sind aus der Serie „Gesundheit und Armut“ des Fotografen Andre Zelck

Kinderarmut, früher ein Thema, das die (Medien-)Öffentlichkeit höchstens in der Vorweihnachtszeit beschäftigte, ist mittlerweile für die meisten Bürger*innen in einem so reichen Land wie der Bundesrepublik ein politischer Skandal. CDU, CSU und SPD kündigten denn auch im Koalitionsvertrag an, ein „Maßnahmenpaket zur Bekämpfung der Kinderarmut“ schnüren zu wollen. Tatsächlich dauerte es kein Jahr, bis die Große Koalition ihre Reformpläne für Familien und Kinder umzusetzen begann.

Steuergeschenk für Reiche

Mit dem Familienentlastungsgesetz wird das Kindergeld zum 1. Juli 2019 um 10 Euro erhöht. Zum 1. Januar 2021, dem Jahr der nächsten Bundestagswahl, soll es noch einmal um 15 Euro pro Kind steigen. Bisher betrug es monatlich je 194 Euro für die ersten beiden Kinder, 200 Euro für das dritte Kind und 235 Euro für jedes weitere. Gleichzeitg wird auch der steuerliche Kinderfreibetrag, welcher das Existenzminimum des Kindes von der Einkommenssteuer befreien soll, von 7.428 Euro auf 7.620 Euro angehoben. Steuerliche Kinderfreibeträge privilegieren ausgerechnet jene Einkommensbezieher*innen am meisten, die auf ihr Jahreseinkommen von mindestens 265.327 Euro den Höchststeuersatz (Reichensteuer) von 45 Prozent bezahlen, weil sie bei der Inanspruchnahme des Kinderfreibetrages eine Steuerersparnis von maximal 285,75 Euro pro Monat erzielen.

Dass ein Spitzenverdiener so fast 1.000 Euro mehr im Jahr für jedes Kind erhält als eine Normalverdienerin an Kindergeld für ihren Nachwuchs, ist weder mit dem Gleichheitssatz noch mit dem Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes vereinbar. Sinnvoll wäre ein für alle Eltern gleiches, einheitliches Kindergeld. Eltern mit Spitzeneinkommen und stärker begünstigenden Steuerfreibeträgen sind angesichts der sich vertiefenden Kluft zwischen Arm und Reich überholt. Schließlich profitieren gerade jene Eltern überhaupt nicht von den Verbesserungen, die als Hartz-IV-Bezieher*innen am meisten auf Unterstützung angewiesen sind, weil ihnen der höhere Geldbetrag als zusätzliches Familieneinkommen auf die Transferleistung angerechnet und damit abgezogen wird.

Gute KiTas und starke Eltern?

Am 1. Januar 2019 ist das „Gute-KiTa-Gesetz“ in Kraft getreten. Darin sichert der Bund den Ländern bis 2022 knapp 5,5 Milliarden Euro über größere Anteile aus der Umsatzsteuer zu. Ob die Länder das Geld zur Qualitätsverbesserung im KiTa-Bereich – etwa Personalaufstockung, Entlastung der KiTa-Leitung, bedarfsgerechte Ausweitung der Öffnungszeiten, Umgestaltung der Räumlichkeiten und Sprachförderung –, zur Senkung beziehungsweise Abschaffung der Gebühren und/oder zur Stärkung der Kindertagespflege einsetzen, bleibt ihnen selbst überlassen.

Alleinerziehende und ihre Kinder bleiben weiterhin armutsgefährdet

Neben den Familien, die Hartz IV oder Asylbewerberleistungen erhalten, müssen künftig auch Eltern mit so geringem Einkommen, dass sie den Kinderzuschlag oder Wohngeld beziehen, keine KiTa-Gebühren mehr zahlen. So notwendig diese Verbesserungen der frühkindlichen Bildung, Erziehung und Betreuung sind, so problematisch erscheint die Beliebigkeit der meisten dafür vorgesehenen Maßnahmen und die Befristung ihrer Finanzierung durch den Bund.

Auf seiner ersten Sitzung im neuen Jahr beschloss das Bundeskabinett den Entwurf eines „Starke-Familien-Gesetzes“, mit dem der Kinderzuschlag am 1. Juli 2019 um 15 Euro auf maximal 185 Euro pro Kind und Monat angehoben, aber auch so ausgestaltet wird, dass ihn mehr einkommensarme Familien erhalten können. Der Kinderzuschlag soll verhindern, dass Geringverdiener*innen nur wegen ihrer Kinder die Grundsicherung für Arbeitsuchende beziehen müssen. Aber er wird ohenhin nur selten in Anspruch genommen, weil seine Beantragung und Berechnung kompliziert sind. Führte eine „harte Abbruchkante“ dazu, dass der Geldbetrag wegen einer Einkommenshöchstgrenze plötzlich entfiel, schmilzt er künftig ab. Der finanzielle Anreiz zur Ausweitung der Erwerbsarbeit steigt auch dadurch, dass eigenes Einkommen den Kinderzuschlag bloß noch zu 45 statt 50 Prozent mindert.

So lässt sich zwar die Hartz-IV-Statistik um mehrere hunderttausend Personen bereinigen, aber kaum erreichen, dass etwa die ihn (wegen der höheren Freigrenze für Unterhaltszahlungen) neu beanspruchenden Alleinerziehenden und ihre Kinder ein Leben oberhalb der EU-weiten Armutsgefährdungsschwelle führen können. Sehr viel wirkungsvoller wäre eine deutliche Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns, der mit 9,19 Euro brutto pro Stunde ab 1. Januar 2019 immer noch der niedrigste in ganz Westeuropa ist.

Eltern, die wegen ihres geringen Einkommens das Bildungs- und Teilhabepaket beanspruchen können, erhalten ab 1. August 2019 mehr Geld aus dem „Schulstarterpaket“, das um die Hälfte auf 150 Euro im Jahr aufgestockt wird. Außerdem entfällt die Zuzahlung für das Mittagessen der Kinder in einer Ganztagseinrichtung und für die Schülerbeförderung. Lernförderung ist nicht mehr an die Voraussetzung der Versetzungsgefährdung gebunden. Keine Verbesserung gibt es hingegen im Kultur-, Freizeit- und Sportbereich. Auch künftig muss das Bildungs- und Teilhabepaket eigens beantragt werden, was viele Eltern nicht tun.

Nach dem Gießkannenprinzip?

Kurz nach dem Kabinettsbeschluss zur Stärkung der Familien kündigte die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles bis zum Jahresende das Konzept für eine Kindergrundsicherung (KGS) an. Orientiert man sich an dem Modell des „Bündnisses Kindergrundsicherung“, sollen die bisherigen Steuerfreibeträge von 415 Euro pro Monat für das Existenzminimum sowie von 220 Euro für den Betreuungs-, Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf, bis der Staat diese Leistungen gebührenfrei erbringt, an sämtliche Kinder als Pauschalbetrag ausgezahlt werden. Alle kindbezogenen Transferleistungen – Kindergeld, -zuschlag, Sozialgeld bzw. Arbeitslosengeld II, Unterhaltsvorschuss – würden im Gegenzug wegfallen.

Kinder sind in Deutschland arm, weil ihre Eltern arm sind

Die unterschiedliche finanzielle Leistungsfähigkeit der Familien fände insofern Berücksichtigung, als die Kindergrundsicherung zum Grenzsteuersatz der Eltern besteuert und mit steigendem Einkommen „abgeschmolzen“ werden soll. Dies erscheint aber schwierig, wenn nicht unmöglich: Wie soll eine staatliche Transferleistung besteuert, Arbeitslosengeld-II-Bezieher*innen jedoch nicht als Einkommen auf die Transferleistung angerechnet und abgezogen werden?

Kindergrundsicherung-Befürworter*innen unterstellen fälschlicherweise, dass man Kinder unabhängig von der sozialen Lage ihrer Eltern aus (Einkommens-)Armut befreien kann. Kinder sind jedoch arm, wenn und weil ihre Eltern arm sind. Deshalb muss man auch ihren Eltern auskömmliche Leistungen gewähren.

Keine der aufgeführten Maßnahmen bedeutet einen Durchbruch im Kampf gegen die (Kinder-)Armut. Bessergestellt werden eher die am Rande der Armut lebenden Familien. Bedarfsgerechtigkeit verwirklicht auch die Kindergrundsicherung nicht. Wie bei einem bedingungslosen Grundeinkommen die Erwachsenen würden vielmehr alle Minderjährigen über einen Kamm geschoren. Wo und in welchen Haushaltskonstellationen sie leben oder wie alt und vermögend sie im Einzelfall sind, spielt keine Rolle. Umgekehrt muss es durch eine stärkere Zielgruppenorientierung gerade darum gehen, besonders jene Kinder zu fördern, die aufgrund ihrer strukturellen Benachteiligung und speziellen Handikaps keine Entwicklungsmöglichkeiten haben. Mit dem für die Kindergrundsicherung benötigten Geld würde besser die soziale, Bildungs- und Betreuungsinfrastruktur ausgebaut.Prof. Dr. Christoph Butterwegge lehrte bis 2016 Politikwissenschaft an der Universität zu Köln. 2018 / 19 sind von ihm die Bücher „Armut“, „Hartz IV und die Folgen“ sowie „Grundeinkommen kontrovers“ erschienen.