Ausgabe 03/2019
Das Leben ist Einfluss
Upps ...
Die gegenwärtige Gesellschaft teilt sich mehr und mehr in diese zwei Klassen: Influencer und Follower. Längst wurde vom Marketing das Potenzial von Selbstdarstellern erkannt, die auf Social-Media-Kanälen die Aufmerksamkeit ihrer Anhängerschar auf sich ziehen. So wird für die postalphabetische Jugend der alte amerikanische Traum aktualisiert: vom Youtuber zum Millionär. Vergiss das Tellerwaschen, berühmt und reich kannst du werden, indem du dein Privatleben authentisch und identifikationsstiftend öffentlich machst. Derzeit laufen in Deutschland mehrere Gerichtsverfahren, um Schleichwerbung von beliebten Instagram-Diven zu unterbinden, ein ziemlich hoffnungsloses Unterfangen: Influencer sind nicht bloß fliegende Reklameträger, sie bieten sich selbst als Ware an, daher lässt sich eine Trennung zwischen Leben und Werbung nicht mehr ausmachen. Ebenso wenig zwischen Werbung und Politik. Die meisten Influencer haben ja eine Botschaft. Sie werben zugleich für Kosmetika und Toleranz, gegen Übergewicht und Rechtspopulismus. Manchmal vermischen sich beide Anliegen. Einem AfD-Politiker kontert die prominente Influencerin Enissa Amani mit dem merkwürdigen Argument: „Meine Netflix-Gage ist dein ganzer Lebenslohn!“ Neulich hat selbige Amani ihre halbe Million Instagram-Abonnenten mobilisiert, um eine Journalistin zu beschimpfen, die sie in einem Artikel verspottet hatte. Denn die Botschafter und Botschafterinnen des Guten verfügen über eine schmutzige Waffe. So wie das Führerprinzip auf Sturmabteilungen, beruht das Influencerprinzip auf Shitstorms. Mit der steigenden Konkurrenz zwischen Identifikationsfiguren wächst die Aggressivität ihrer Anhänger, so wie letztens in Berlin bei einer Massenschlägerei zwischen zwei Youtuber-Gruppen. Allerdings ist das Phänomen nicht mehr aufzuhalten. Influencer werden bereits von der Bundeswehr zu Rekrutierungszwecken eingesetzt. Sie machen sich im Kommunikationsmanagement von Unternehmen wie Gewerkschaften zunehmend unverzichtbar. Womöglich werden sogar kommende Tarifvereinbarungen von der Performance der besseren Influencerin entschieden werden. Guillaume Paoli