Ausgabe 03/2019
Rolle Rückwärts
Sie kämpfen für einen an den öffentlichen Dienst angelehnten Tarifvertrag, die Beschäftigten der St. Elisabeth-Altenhilfe Wetter GmbH und St. Elisabeth Innovative Sozialarbeit gemeinnützige GmbH. Und zunächst sah es für sie auch so aus, als ginge alles seinen sozialpartnerschaftlichen Gang: Nachdem sich die Hälfte der rund 100 Beschäftigten in der Gewerkschaft organisiert hatte, führte der Arbeitgeber Ende November 2018 mit ver.di ein erstes Sondierungsgespräch. Im Februar sollten die Tarifverhandlungen beginnen. „Wir hatten ein gutes Gefühl, die Gesprächsatmosphäre war offen und konstruktiv“, sagt die zuständige Gewerkschaftssekretärin Saskia Jensch.
Was die Bechäftigten zu dem Zeitpunkt noch nicht wussten: Schon Anfang November hatte der Arbeitgeber seine Aufnahme in das Diakonische Werk Hessen beantragt, um der betrieblichen Mitbestimmung aus dem Weg zu gehen. In kirchlichen Einrichtungen gelten statt Tarifverträgen sogenannte Arbeitsvertragsrichtlinien der Kirche. „Damit hat uns der Arbeitgeber hinters Licht geführt“, sagt Saskia Jensch. „Er hat die Beschäftigten mit einem guten Gefühl in die Weihnachtszeit und den Jahreswechsel geschickt und ihnen die Waheit verschwiegen.“ Die Altenhilfe Wetter hatte vor vielen Jahren schon einmal die Trägerschaft gewechselt, um sich vor Konzessionen zu drücken, damals waren sie allerdings von der kirchlichen in die private Trägerschaft gegangen. Jetzt also die Rolle rückwärts,zurück zur Kirche, um den Tarifvertrag zu verhindern.
Für die Beschäftigten bedeutet der Wechsel zur Diakonie Hessen zwar vorerst eine finanzielle Verbesserung, denn die Löhne sind dort höher, als sie zuletzt ohne Tarif waren. Allerdings liegen sie unter Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes, TVöD. „Das Einstiegsgehalt einer examinierten Altenpflegerin entspricht etwa 96 Prozent des TVöD“, sagt Saskia Jensch. Nach 16 Jahren seien es sogar nur rund 84 Prozent.
Vor allem aber sind die kirchlichen Arbeitsvertragsrichtlinien, anders als Tarifverträge, nicht verbindlich. In Notlagen kann der Arbeitgeber die Löhne um 15 Prozent senken.
Am 1. März rief ver.di erstmals die St. Elisabeth-Altenhilfe Wetter GmbH und die St. Elisabeth Innovative Sozialarbeit gGmbH zum Streik für den Tarifvertrag auf. Am 8. März wurde dort gestreikt – erstmals in einer kirchlichen Einrichtung in Hessen. Marion Lühring/fri