Ausgabe 05/2019
Arbeiten, wo andere urlauben
Christian Sieggrün an seinem Arbeitsplatz
Als ich vor etlichen Jahren auf die Insel gekommen bin, war es noch ein relativ angenehmer Job. Als Busfahrer konnte ich dort arbeiten, wo andere Urlaub machen. Die Anzahl an Linien war überschaubar, im Winter war es relativ ruhig, dafür war im Sommer gut zu tun, und dennoch hielt sich der Stress in Grenzen. Natürlich musste ich mich erst einmal daran gewöhnen, sehr häufig mit zu 100 Prozent ausgelasteten Bussen zu manövrieren, zusätzlich Fahrräder zu befördern und bei fast jedem Fahrgast erst einmal in bar zu kassieren, bevor die Fahrt aufgenommen werden konnte.
Allerdings sind bedauerlicherweise die Fahrzeiten seit über 20 Jahren nicht den ständig steigenden Fahrgastzahlen angepasst worden. Dafür kamen aber zahlreiche Haltestellen auf den Linien hinzu. Und da wir als Busfahrer*innen, insbesondere bei plötzlichen Wetterumschwüngen, die Gäste beim Laden ihrer Fahrräder unterstützen, nehmen die Haltestellen reichlich zusätzliche Zeit in Anspruch, die uns in der Folge bei der ohnehin nicht mehr zeitgemäßen Fahrzeit schlichtweg fehlt. Zwar zahlt die Firma pro befördertem Rad den Beschäftigten eine kleine Prämie, doch kann diese den Zeitverlust natürlich nicht ausgleichen. Sie dient lediglich als kleines Trostpflaster für den zusätzlichen Stress, dem die Fahrer*innen ausgesetzt sind.
Auch der Individualverkehr, der sich in den letzten 10 bis 15 Jahren mindestens verdoppelt hat, macht uns tagtäglich stark zu schaffen. Stau und verstopfte Straßen sind unser tägliches Brot und insbesondere bei schlechtem Wetter sind alle Touristen gefühlt mit dem eigenen Pkw auf der Insel unterwegs. Die vielen „Falschparker“ erschweren uns das Durchkommen mit unseren großen Gefährten und sind für das Einhalten des Fahrplanes eine große Herausforderung. Da in Westerland alle Straßen nur jeweils eine Spur pro Richtung haben, die Straßen der Innenstadt eng sind und sie mit Fußgängerzonen gut bestückt ist, braucht man als Fahrer und Fahrerin Nerven wie Drahtseile. Nicht zuletzt auch wegen der „Armaden“ von Fahrradfahrern, die augenscheinlich sorglos kreuz und quer durch die Stadt radeln. Da ist es schon erstaunlich, dass nur selten ein Unglück passiert.
All das sind Faktoren, die das Busfahren auf Sylt nicht leichter machen. Dennoch macht der Job Spaß und bringt viel Abwechslung. Jeden Tag begegnet man immer wieder neuen, zum Glück überwiegend freundlichen Fahrgästen, die neugierig und aufgeschlossen sind und viel Verständnis für uns und unseren Berufsalltag mitbringen. Das gleicht viele der unangenehmen Erlebnisse während des Dienstes wieder aus.
Natürlich gelingt es nicht immer, jedem zugestiegenen Gast ein Lächeln zu entlocken, aber ein freundliches norddeutsches „Moin“ und ein herzliches Wort kann hier erfahrungsgemäß wahre Wunder bewirken.