Bei der Degenkolbe Recycling GmbH wird es keine Verhandlungen über einen Haustarifvertrag geben. Über ein Jahr lang hatte sich ver.di darum bemüht. Aufforderungen zu Gesprächen mit der Tarifkommission über bessere Arbeitsbedingungen ignorierte der Arbeitgeber. Zu einem Warnstreik kommt es dennoch nicht; die Mehrheit einer ver.di-Mitgliederversammlung stimmte dagegen.

Die Firma mit Sitz in Stuttgart und etwa 35 Beschäftigten ist auf Altpapier spezialisiert. Sie gehört keinem Arbeitgeberverband an. Die Arbeitsbedingungen sind zum größten Teil einzelvertraglich geregelt. Anfang 2018 hatten mehrere Beschäftigte ihre Gewerkschaft um Unterstützung gebeten, zwei Drittel sind in ver.di organisiert. Sie zeigten auf, dass bei Degenkolbe einiges im Argen liegt: Die Probleme seien vielfältig. Sie fangen bei einer willkürlich festgelegten Bezahlung an und reichen bis zu Schikanen gegen Einzelne. Es gibt Mängel beim Arbeits- und Gesundheitsschutz sowie bei der Einhaltung von Pausen-, Arbeits- und Lenkzeiten. Eine Beteiligung des Betriebsrates umgehe der Arbeitgeber.

Strategie mehrfach diskutiert

Auf mehreren ver.di-Mitgliederversammlungen wurde darüber diskutiert, welche Strategie zu einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen führen könnte. Mit einer beteiligungsorientierten Tarifarbeit sollte der Weg zu einem Haustarifvertrag mit dem Arbeitgeber gebahnt werden. Gefordert wurden ein einheitliches Entgeltsystem, die Anhebung der Löhne um 5 Prozent und die Verkürzung der Arbeitszeit auf 39 Stunden pro Woche. Dringend verlangte ver.di Maßnahmen zur Vermeidung von gesundheitlichen Schäden durch Papierstaub.

Auf mehrere Aufforderungen zur Aufnahme von Verhandlungen reagierte Geschäftsführer Wolfgang Müller nicht. An zwei durch den Betriebsrat einberufenen Betriebsversammlungen nahm er nicht teil. Um ihrer Forderung nach Tarifverhandlungen den nötigen Nachdruck zu verleihen, beantragte die Tarifkommission schließlich Anfang Mai 2019 beim ver.di-Bundesvorstand die Genehmigung zu Streiks. Der gab dem Antrag statt. Eine letzte Frist bis zum 13. Mai, sich mit den gewählten ver.di-Vertretern an den Tisch zu setzen, ließ Müller verstreichen.

Der Geschäftsführer hält an seinem Verhalten gegenüber den Beschäftigten und dem eigenen Unternehmen fest. Zu seiner Taktik gehört, sich Betriebsratsmitglieder stets einzeln vorzunehmen. Wo heutzutage ein respektvoller Umgang Norm sein sollte, hagelt es Ausreden und Vorwürfe, wird mit Kündigung gedroht. Schließlich musste der organisierte Teil der Belegschaft entscheiden, ob er trotz des massiven Drucks, den der Geschäftsführer ausübte, den Mut zum Arbeitskampf aufbringt. Die Mitgliederversammlung konnte in dieser Situation erst im zweiten Anlauf am 17. Mai stattfinden. Ihr Ergebnis ist ein Rückschlag für die Tarifarbeit. Am Ziel tarifvertraglich geregelter besserer Arbeitsbedingungen hält ver.di bei Degenkolbe dennoch fest. Jakob Becker