Ausgabe 05/2019
Lula und sein Richter
Jetzt wischen wir auf: Protest gegen Justizminister Moro am 9. Juli vor seinem Ministerium
Ein Richter und ein Team von Staatsanwält*innen haben sich über das Gesetz gestellt und Brasiliens Demokratie an den Abgrund geführt. Dafür gibt es nun Beweise: Seit Anfang Juni veröffentlicht das Portal The Intercept in Zusammenarbeit mit der Tageszeitung Folha de São Paulo immer neue Details aus privaten Telegram-Chats zwischen Mitgliedern der Korruptions-Ermittlungsgruppe „Lava Jato“ und dem früheren Richter und heutigen Justizminister Sérgio Moro. Die Quelle ist laut Intercept anonym. Kopf von Intercept ist der in Brasilien lebende US-Journalist Glenn Greenwald. Bekannt wurde er 2013 durch die Publikation von Geheimdienst-Dokumenten des Whistleblowers Edward Snowden.
Ende Juli verhaftete die Polizei mehrere Hacker, die die brisanten Daten erbeutet haben sollen. Diese belegen insbesondere, dass „Lava Jato“, was „Waschanlage“ bedeutet, den Linkspolitiker und früheren Präsidenten Brasiliens, Lula da Silva, aus politischen Motiven heraus ins Visier nahm. Rechtsstaatliche Prinzipien blieben außen vor: Der Richter leitete die Staatsanwälte an. In Teamarbeit wurden Anklagen konstruiert, Lulas Verteidigung sabotiert und die Presse „gefüttert“. Nachzulesen ist, wie Moro und Gefolge Lula ein von einem Baukonzern gesponsertes Luxusapartment andichteten.
Lula sitzt seit April 2018 wegen Korruption im Polizeigefängnis in Curitiba ein. Er soll mehr als zwölf Jahre Haft verbüßen. Erst Moros Schuldspruch ermöglichte den Ausschluss des Kandidaten der Arbeiterpartei PT von der Präsidentschaftswahl im vergangenen Oktober. In allen Umfragen hatte Lula klar vorn gelegen. Von 2003 bis 2010 stand der frühere Gewerkschaftsführer schon einmal an der Spitze Brasiliens. Lulas Popularität fußt auf den Erfolgen seiner Regierungen bei der Armutsbekämpfung. Für seine Freilassung setzen sich Menschen in Brasilien und aller Welt ein. Der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirkse hatte Lulas Verhaftung als „Angriff auf die Demokratie“ kritisiert und ihn als „Opfer politischer Verfolgung“ bezeichnet. Vom 16. bis 18. August trafen sich jetzt Abgesandte der internationalen Solidaritätsbewegung für Lula in Berlin. „Wir waren, wir sind und wir werden Widerstand sein“, lautete das Motto.
Politisches System in der Krise
Unter Lulas Nachfolgerin Dilma Rousseff bekam Brasilien seit 2014 die Folgen der globalen Krise zu spüren. 2016 wurde auch die linke Präsidentin unter falschen Anklagen durch den Kongress entmachtet. An Rousseffs Stelle trat ihr konservativer Vize Michel Temer, ein Vertreter des traditionellen Filzes aus Politik und Kapital. Und die reiche Elite setzte unter seiner Regierung geradewegs auf einen Ausweg ganz rechts. So kam Jair Bolsonaro zum Zug, ein Hinterbänkler und Anhänger der Militärdiktatur, die von 1964 bis 1985 in Brasilien herrschte.
Hinter Bolsonaro steht eine Allianz aus religiösen Fundamentalisten, Waffenlobby und Großgrundbesitzern. Wie es Rechtsextreme anderswo vormachten, setzte Bolsonaro im Wahlkampf auf rassistische und homophobe Provokationen, gab sich als Antipolitiker. Seine Helfer überschwemmten die Sozialen Netzwerke mit Lügen. Debatten ging Bolsonaro völlig aus dem Weg, politischen Gegnern drohte er mit Tod und Verbannung. Sein Familienclan ist mit Rios Milizen verbandelt, einer paramilitärischen Mafia.
Nach Morddrohungen emigrierte Anfang dieses Jahres der in den Kongress gewählte offen schwule Politiker der linken PSOL, Jean Wyllys. Gegenüber ver.di publik sagt er, die Bolsonaro-Regierung sei „eindeutig faschistisch“. Sie habe die Merkmale dessen, was der italienische Philosoph Umberto Eco den „ewigen Faschismus“ nannte. Dazu zähle auch die Verklärung der Diktatur, Bolsonaro biete einen „Nationalismus für Idioten“. Gleichzeitig, sagt Wyllys, liefere Bolsonaro Brasiliens Reichtümer den Multis aus.
Demaskierter Held
Ohne Moros Mithilfe wäre Bolsonaro kaum in den Präsidentenpalast gelangt. Vielen in Brasilien galt der Richter lange als moralische Instanz: Lava Jato würde mit der Korruption endlich aufräumen. Moro wurde zum Medienstar. Die Telegram-Chats haben den Minister nun in Bedrängnis gebracht. Wyllys nennt ihn einen „demaskierten Helden“, „moralisch und politisch korrupt“. Moro sei es einzig darum gegangen, „die PT von der Macht zu verdrängen“.
Im Fall der Veröffentlichungen von Intercept und der Tageszeitung Folha de São Paulo verfolgt der Minister derzeit eine Ablenkungsstrategie: Er sei das Opfer, das Verbrechen der Datendiebstahl. Bolsonaro nennt Greenwald kriminell und droht dem Journalisten mit einer Gefängnisstrafe. Immerhin: Am 8. August stoppte das Oberste Gericht STF eine von Moro arrangierte Verlegung Lulas in ein Gefängnis für Verbrecher im Hinterland von São Paulo. Doch um seine Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen, sagt Wyllys, müsse das STF „Lula so schnell wie möglich auf freien Fuß setzen“.