Film

Nordmazedonien. Es ist Dreikönigstag in der Kleinstadt Stip. Wie jedes Jahr tauchen die jungen Männer nach dem Heiligen Kreuz, das der Pope in den eisigen Fluss wirft. Ein Ritual, das immer noch Männern vorbehalten ist. Wem es gelingt, so heißt es, der hat ein Jahr lang Glück. Doch diesmal ist die 31-jährige Petrunya schneller. Beherzt schmeißt sie sich in die Fluten. Triumphierend hält sie die Trophäe in die TV-Kameras. Die promovierte Historikerin sucht seit langem Arbeit. Auf dem Rückweg von einem der erfolglosen Vorstellungsgespräche passiert das Unglaubliche, der Skandal ist perfekt. Polizei und Staatsanwaltschaft werden eingeschaltet. Die glückliche Siegerin wird aufs Polizeirevier geschleppt. Nur: Wie lautet die Anklage, wenn gegen kein Gesetz verstoßen wurde? Während draußen der Mob tobt und eine Reporterin die Sensation wittert, zerbrechen sich drinnen Exekutive und Klerus den Kopf, wie sie die alte Ordnung wieder herstellen können. Geschickt inszeniert Regisseurin Mitevskas ihren Spielfilm zwischen Tragikomödie und Satire. Ihr Glanzstück über Religion und Machismo avancierte zu Recht zum Publikumsliebling der vergangenen Berlinale. Luitgard Koch

MKD/BEL/F/HRV/SVN 2019; R: Teona Strugar Mitevska, D: Zorica Nusheva, Labina Mitevska, Simeon Moni Damevski u. a.; 100 Min.; Kinostart: 14.11.


Das Wunder von Marseille

Fahim ist acht, als er Hals über Kopf mit seinem Vater aus Bangladesch fliehen muss. Politische Unruhen erschüttern das Land. Sie stranden obdach- und papierlos in Paris, immer in Gefahr, abgeschoben zu werden. Doch dank seiner außerordentlichen Begabung für Schach findet Fahim in dem hünenhaften Sylvain (Gérard Depardieu), einem der besten Schachtrainer Frankreichs, einen Förderer und wahren Freund. Der Vater freilich rutscht unaufhaltsam in die Illegalität und muss untertauchen. Als ihm kurz vor der französischen Schachmeisterschaft die Ausweisung droht, hat der schmächtige, ernste Junge deshalb nur noch ein Ziel: Er muss die Meisterschaft in Marseille gewinnen und französischer Champion werden, damit ihre Flucht nicht umsonst gewesen ist. Exzellent gespielt entwickelt sich ein berührendes Drama, nach der unglaublichen Lebensgeschichte Fahim Mohammeds, der heute in Frankreich lebt. Vor allem Gérard Depardieu, der Künstler zwischen Genie und Exzess, Obelix und Anti-Bourgeois zugleich, macht seine Sache als grummeliger Trainer mit Herz auf dem rechten Fleck bemerkenswert gut. Grandios unterstützt wird er dabei von Isabel Nanty, die einst im Filmmärchen „Die wunderbare Welt der Amelie“ glänzte. Luitgard Koch

F 2019; R: Pierre-François Martin-Laval, D: Gérard Depardieu, Ahmed Assad, Isabel Nanty, u. a.; 110 Min.; Kinostart: 7.11.


Parasite

Ihr Wohnsitz ist eine Kloake, aber mit Sarkasmus, miesen Jobs und Improvisationstalent kommt die mittellose Familie Ki über die Runden. Als sich dem Sohn die Möglichkeit bietet, einem Mädchen aus reichem Haus Nachhilfe zu geben, zahlt sich ihre Gelassenheit aus: Mit falschen Identitäten bringt der Junge Eltern und Schwester als Bedienstete bei den Parks unter, zusehends drängen die Armen die Wohlhabenden aus ihrem eigenen Haus und Leben. Ein simples Drama über Klassenkampf ist der preisgekrönte Film aus Südkorea dank ambivalenter Figuren gleichwohl nicht. Durchaus fair gehen die Privilegierten mit ihrem Personal um, gefühlskalt räumen die Underdogs deren vorige Angestellte aus dem Weg. Als eines Nachts die entlassene Haushälterin auftaucht und offenbart, dass ihr Mann heimlich im Keller der Villa wohnt, kommt es zu einem kafkaesken Showdown auf Leben und Tod. Am Ende offenbart die zwischen Thriller und Komödie oszillierende originelle Parabel eine perfide Gesellschaft, in der jeder jeden ein bisschen ausnutzt. Kirsten Liese

KOR 2019; R: Bong Joon Ho; D: Song Kang Ho, Lee Sun Kyun, Cho Yeo Jeong, u.a.; 131 Min.; Kinostart: 17.10.