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Happy Ending – 70 ist das neue 70

Foto: DEEPOL by plainpicture, Camino Filmverleih,dpa (2), Fiona Tan, Ludwiggalerie, Marianne Strobl, promo

So gar nicht sicher ist die Ruhebank, die der Workoholic Peter von wohlmeinenden Kollegen und Freunden geschenkt bekommt. Auf der soll er sich jetzt, nach Ende seines erfolgreichen Arbeitslebens, niederlassen und gefälligst den Ruhestand genießen. Seine Frau Helle sehnt diesen Augenblick schon lange herbei. Jahrzehnte hat sie auf ihren Mann gewartet; zunächst, dass er endlich von der Arbeit kommt, dann, dass er in Rente geht und sie endlich, mit 70, gemeinsam reisen und die Welt erforschen können. Alle Voraussetzungen dafür hat sie erfüllt: Sie hat in all den Jahren die Tochter großgezogen, den Garten in ein Meer aus Rhododendron und das große Haus in ein gemütliches Heim verwandelt. Von ihr aus kann's losgehen. Doch die attraktive 70-Jährige hat sich schwer verrechnet.

Noch am selben Abend der Ruhestandsfeierlichkeiten erklärt der immer noch drahtige Peter vor versammeltem Freundeskreis, dass er jetzt erst richtig durchstarten wird und deshalb die gesamten Ersparnisse in ein österreichisches Weingut investiert hat. Ungeachtet der entsetzten Ehefrau will er auch das feiern. Er nimmt unangekündigt eine Viagra, um sich seiner Unsterblichkeit mittels ehelicher Routine zu versichern. Doch Helle reicht es nun. Es kommt zwar noch zum gemeinsamen Griff ins Vaselinetöpfchen, aber dann hat sie genug vom bedürftig-verkrampften Gefummel ihres Gatten.

Doch Peter ist nicht mehr aufzuhalten. Er nistet sich bei der Familie der Tochter ein, erstellt sich mithilfe der Enkelin ein Dating-Profil und trägt ungefragt die jugendlichen Klamotten des Schwiegersohns. "Wo du mein Vater hättest sein sollen, sehe ich nur ein schwarzes Loch", haut ihm die Tochter eines Tages um die Ohren. Bis heute bekämpft sie ihre Verlustängste mit nächtlichen Schokoladenorgien und hat nun auf die Belagerung durch den Vater in Not so gar keine Lust.

Natürlich geht es in dieser dänischen Komödie um die Frage, ob sich ein Neuanfang mit 70 überhaupt bewerkstelligen lässt, und wenn ja, wie glücklich man noch werden kann. So viel sei verraten – man kann. Dass es ausgerechnet eine Bankberaterin ist, die Helles Leben neuen Schwung verleiht, ist nur eine der amüsanten Kapriolen dieses unaufwendigen, aber glänzend gespielten Wohlfühlfilms, der den schwierigen Fragen des Alters doch eine beträchtliche Komik abringt. Jenny Mansch

DK 2019, R: Hella Joof, D: Birthe Neumann, Kurt Ravn, uva., 96 Min., Kinostart: 7. November

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Der Unschuldige

Ruth führt eine bedrückende Existenz mit Mann und Kindern in der Schweizer Provinz. Das Leiden eines Rhesusaffen, dessen Kopf die Neurowissenschaftlerin auf einen anderen Körper verpflanzt hat, belastet sie und ihren Glauben zu Gott. Zudem bringt ihr Ex-Freund ihre graue Welt ins Wanken, von dessen Unschuld sie überzeugt war, als er vor 20 Jahren wegen Raubmords ins Gefängnis kam. Sie meint ihn wiedergesehen zu haben. Oder bildet sie sich das nur ein? Vieles deutet darauf hin, dass dieser Andreas nach seiner Freilassung tragisch zu Tode kam. Weil sich Ruth von ihrer Sicht aber nicht beirren lässt, wollen ihr Mann und ihre freikirchliche Gemeinde ihr den Teufel austreiben. Die Anklage grausamer Tierversuche und religiöser Heuchler driftet zunehmend ins Surreale. Besonders verstört das mysteriöse Psychodrama, wenn die Kamera an den Affen heranzoomt, den nur noch Apparate am Leben erhalten, oder zeigt, wie die Freikirchler Ruth quälen. Das ist schwer auszuhalten, aber dank emotionaler Wucht, eindringlichen Phantasmen und wertvollen Denkanstößen großes Kino.

Kirsten Liese

CH/D 2018, R: Simon Jaquemet, D: Judith Hofmann, Naomi Scheiber, Christian Kaiser, 114 Min., KinoStart: 14. November

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The Kindness of Stranger

Wenn die Welt scheinbar im Chaos versinkt, braucht es Filme, die noch an das Gute im Menschen glauben. Das lebensbejahende Manhattan-Märchen der ehemaligen dänischen Dogma-Filmerin Lone Scherfig ist so einer. Als Clara feststellt, dass ihr Ehemann, Polizist Richard, nicht nur sie, sondern auch ihre Kinder verprügelt, lädt sie ihre beiden Söhne eines Morgens ins Auto und flieht mit ihnen nach New York. Doch der glitzernde "Big Apple" hat seine kalten Schattenseiten. Zunächst hält Clara sich und die Kinder mit herausgestellten Essensresten auf Hotelfluren über Wasser. Obdachlos geworden, schlafen die drei erst im Auto, dann in Hinterhöfen und wärmen sich in Bibliotheken auf, bevor sie versteckt unterm Klavier von Timofeys russischem Restaurant landen. Dort managt Außenseiter Marc, ein menschenscheuer Ex-Häftling, das Lokal. Und hier trifft Clara schließlich auf Hilfsbereitschaft und Mitgefühl von Fremden, deren Leben ebenfalls aus den Fugen geraten ist. Der britische Schauspieler Bill Nighy sorgt dabei souverän für trockenen Humor. Ein wunderbarer Weckruf für Nächstenliebe und die Kraft des Miteinanders. Luitgard Koch

DK/CAN/D/F 2019, R: LONE SCHERFIG, D: ZOE KAZAN, Bill Nighy, TAHAR RAHIML, U. A., 112 MIN., KIN0START: 12. Dezember