09_HR_ullsteinbild-05895722_Y.jpg
Der Gewerkschaftsdachverband Cosatu wurde 1985 von 33 Einzelgewerkschaften gegründetPaul Weinberg/Africa Media, Online/ullstein bild

Der 11. Februar 1990 ist im Gedächtnis der Südafrikaner unauslöschlich verankert. Der Tag, an dem Nelson Mandela nach 27 Jahren in den Gefängnissen des weißen Minderheitenregimes in die Freiheit schritt, bedeutete für alle sichtbar den Anfang vom Ende der Apartheid. Erst eine gute Woche zuvor hatte Staatschef Frederik Willem de Klerk das Verbot des African National Congress (ANC) aufgehoben, der Wandel war nicht mehr aufzuhalten. Mandela und seine Partei gelten seit jeher als Befreier Südafrikas – doch sie waren nicht allein. Der Durchbruch vor 30 Jahren basierte zu einem wesentlichen Teil auf der Arbeit der Gewerkschaften, die die Arbeit der Regierung bis heute beeinflussen. Der Dachverband Congress of South African Trade Unions (Cosatu) ist nach wie vor Bündnispartner des regierenden ANC.

Gegründet wurde Cosatu 1985 als gemeinsame Dachorganisation von 33 Einzelgewerkschaften. Obwohl Streiks in der Apartheid-Ära verboten waren, griff die Föderation das Regime frontal an und trug mit Arbeitsniederlegungen zur Destabilisierung des Regimes bei. Die Cosatu-Gewerkschaften leisteten so einen entscheidenden Beitrag zur Umsetzung der ANC-Strategie, Südafrika unregierbar zu machen. 1987 adoptierte der Gewerkschaftsbund die Freiheitscharta, das Grundsatzdokument des ANC und der mit ihm verbündeten South African Communist Party (SACP). Gemeinsam mit den beiden Parteien formte Cosatu schließlich die "Tripartite Alliance", die bis heute besteht.

Schneller Rückschlag nach Anfangserfolgen

Die Strategie der Gewerkschaften, die Regierungspolitik von innen zu beeinflussen, schien zunächst durchaus erfolgreich. Als Nelson Mandela nach den ersten freien Wahlen 1994 Staatspräsident wurde, berief er den Cosatu-Generalsekretär Jay Naidoo als Minister in sein Kabinett und beauftragte ihn mit der Umsetzung des Wiederaufbau- und Entwicklungsprogramms (Reconstruction and Development Programme, RDP), das als Kernelement der Regierungsstrategie galt. Ziel des RDP war es, einen Sozialstaat aufzubauen.

Doch der Rückschlag kam schnell. Auf Drängen von Weltbank und IWF sowie auf Bestreben des Lagers um Mandelas Stellvertreter Thabo Mbeki schwenkte der ANC 1996 auf ein neues Grundsatzprogramm um, dessen Name "Wachstum, Arbeit und Umverteilung" (GEAR, Growth, Employment and Redistribution) zum Synonym für den neoliberalen Umbau des Staates wurde. Mbeki, der Mandela zunächst Ende 1997 an der Spitze des ANC und anderthalb Jahre später als Staatspräsident ablöste, öffnete Südafrikas Märkte für den globalen Handel und fuhr staatliche Programme zurück. Technokratisch kühl entmachtete er die Gewerkschaften.

Möglich war dies auch aufgrund der Struktur des Bündnisses. "Es ist eine politische Allianz, aber Cosatu ist nicht in der Regierung, der ANC stellt die Regierung, das muss man klarstellen", erklärt Patricia Nyman von der Einzelhandelsgewerkschaft SACCAWU die Zusammenarbeit. "Cosatu kann, so ist es zumindest gedacht, die Regierungspartei beeinflussen und Arbeiterinteressen sowie soziale Themen wie den Zugang zu Bildung und die Bekämpfung von Ungleichheit einbringen. Das Problem ist aber, wie bei den meisten Befreiungsbewegungen, dass es keine Balance gibt." In der Praxis bedeute dies: "Der ANC hat die Macht, der ANC ist das Zentrum. Was immer der ANC entscheidet, ist die politische Linie", sagt Nyman, die bereits während des Anti-Apartheid-Kampfes in der Gewerkschaftsbewegung aktiv war und heute als Nationale Gleichstellungsbeauftragte bei SACCAWU arbeitet und zugleich UNI-Weltfrauenpräsidentin ist.

Diese Abhängigkeit drängt Cosatu innerhalb der Allianz in Zweckbündnisse. Um den Neoliberalen Mbeki loszuwerden, setzten die Gewerkschaften so 2007 auf dessen ANC-internen Gegenspieler, den schon damals von Korruptionsskandalen und Vergewaltigungsvorwürfen umwitterten Jacob Zuma. Gemeinsam mit der SACP und Teilen des ANC verhalf Cosatu ihm zunächst an die Parteispitze und schließlich 2009 ins Amt des Staatspräsidenten. Doch gewerkschaftsnahe Politik machte Zuma nicht. Stattdessen plünderte er die Kassen des südafrikanischen Staates und der staatseigenen Unternehmen. Auf 1,5 Billionen Rand (knapp 100 Milliarden Euro) beläuft sich der geschätzte finanzielle Schaden, was fast einem Drittel der jährlichen Gesamtwirtschaftsleistung des Landes entspricht.

Die Spaltung der Gewerkschaften

Die Ära Zuma spaltete die Gewerkschaften. Weil die Metallarbeitergewerkschaft NUMSA ihm die Gefolgschaft verweigerte, die Cosatu-Führung aber mehrheitlich weiter zum ANC stand, kam es 2014 zum offenen Bruch. Cosatu schloss die größte Einzelgewerkschaft des Landes aus dem Dachverband aus.

Es war nicht der erste schwere Riss. Bereits 2012 waren Bergarbeiter an der Marikana-Mine des Platinförderers Lonmin in den Streik getreten, um höhere Löhne und bessere Lebensbedingungen zu verlangen. Die Gewerkschaft NUM stellte sich gegen die Arbeiter. Offiziell hieß es, zu hohe Forderungen seien in einer Phase niedriger Rohstoffpreise nicht sinnvoll. Doch viele Arbeiter sahen einen Interessenkonflikt, für den ein Mann symbolisch steht: Cyril Ramaphosa. Der einstige Gründungsgeneralsekretär der Bergarbeitergewerkschaft war nach dem Ende der Apartheid mit Unternehmensbeteiligungen zum Rand-Milliardär aufgestiegen. Er nutzte dazu ein System namens Black Economic Empowerment (BEE), mit dem die Regierung gezielt eine stärkere Beteiligung von Schwarzen in der von Weißen dominierten Post-Apartheid-Wirtschaft fördern wollte.

"Die Regierung hat zugelassen, dass die staatseigenen Unternehmen kaputtgewirtschaftet wurden"
Patricia Nyman, Einzelhandelsgewerkschaft SACCAWU

Große Unternehmen wurden verpflichtet, Anteile an Schwarze zu verkaufen. Die Konzerne suchten sich einflussreiche Politiker und Gewerkschafter aus und schossen die Kredite für die Anteilspakete selbst vor. Abgezahlt wurde über Dividenden, die neuen Partner waren also auf Gedeih und Verderb an das Wohlergehen "ihres" Konzerns gebunden. "Bei BEE", so konstatierte der Cosatu-Funktionär Tony Ehrenreich später öffentlich, "ging es um den Verkauf der Seele des ANC."

2012 eskalierte der Konflikt. Die streikenden Lonmin-Arbeiter wandten sich von der NUM ab und traten der radikaleren, damals noch sehr kleinen AMCU bei. Nach einer Woche der Gewalt und insgesamt zehn Toten eröffneten Polizeikräfte am 16. August 2012 das Feuer auf eine friedliche Versammlung der Streikenden. 34 Bergarbeiter wurden erschossen, es war das schwerste Massaker seit dem Ende der Apartheid. Ramaphosa hatte Verhandlungen mit der Streikführung bis zuletzt abgelehnt und stattdessen ein "entschiedenes Eingreifen" der Staatsmacht gefordert.

Massiver Verlust an Unterstützung

Heute ist der ehemalige Arbeiterführer Staatspräsident, liebäugelt mit der Privatisierung von Staatskonzernen und will mit neoliberalen Reformen internationale Investoren anlocken. An die Macht gekommen ist auch er mit maßgeblicher Unterstützung Cosatus, weil er die einzige realistische Alternative zum korrupten Zuma-Regime bot.

In den Betrieben haben die Cosatu-Gewerkschaften derweil massiv an Unterstützung verloren, die Vormachtstellung im Bergbau und in der Metallindustrie ist dahin. Heute stützt sich Cosatu vor allem auf Staatsbedienstete. Der Interessenkonflikt mit dem regierenden Bündnispartner ANC wird so noch offensichtlicher und gipfelt in der derzeitigen Auseinandersetzung um die Staatskonzerne. "Im Prinzip kämpfen wir gegen den ANC", sagt Nyman. "Die Regierung hat zugelassen, dass die staatseigenen Unternehmen kaputtgewirtschaftet wurden", kritisiert sie und sieht darin "einen absichtlichen Versuch, Privatisierungen zu erzwingen".

Doch was ist die Konsequenz? Einerseits, so glaubt Nyman, würde es "einen großen Unterschied machen", wenn Cosatu die Allianz mit dem ANC verlassen und ohne politische Bündniszwänge für Arbeiterinteressen eintreten könnte. "Andererseits konnten wir durch die Allianz auch vieles erreichen, wir haben Zugang zur Regierung, zum Parlament und den Ministern. Es ist eine Zwickmühle."