Ausgabe 03/2025
"Wir fahren unsere eigene Strategie"

Es ist der längste Streik in der schwedischen Geschichte: Die Gewerkschaft IF-Metall gegen die E-Mobilfirma Tesla, die Elon Musk, einem der reichsten Männer der Welt gehört. Er begann im Oktober 2023 und ans Aufhören ist derzeit nicht zu denken. "Im Moment streiken etwa 60 Mitglieder. Wie lange wir weitermachen, hängt davon ab, wie lange unsere Mitglieder es noch aushalten", so Marie Nilsson, die Vorsitzende der IF-Metall, der Gewerkschaft der Arbeiter*innen in Schweden.
Einer, der noch lange nicht ans Aufgeben denkt, ist Jānis Kuzma. Der KfZ-Mechaniker arbeitet bei einer Teslawerkstatt in Malmö und ist seit dem ersten Streiktag beim Protest dabei. Angst um seinen Arbeitsplatz hat er dabei keine: "Sie wollen ja, dass wir Angst haben. Eine gute Firma erkennt man daran, dass wir all diese Probleme gar nicht hätten." Er will streiken, bis Tesla den Tarifvertrag unterschreibt.
Das schwedische Modell
Denn darum geht es der Gewerkschaft und den Streikenden bei Tesla vor allem: In Schweden unterschreiben die meisten Arbeitgeber einen Tarifvertrag, in dem ein steigendes Gehalt je nach Erfahrungsstufe, Pension und Mitbestimmungsrecht geregelt ist. Tesla weigert sich, diese auf Schwedisch "Kollektivavtal" genannte Formalität zu unterzeichnen und hat stattdessen versucht, den Forderungen der Gewerkschaft mit kleineren Verbesserungen, zum Beispiel Gehaltserhöhungen, entgegenzukommen.
Doch das reicht der Gewerkschaft nicht. Gewerkschafterin Nilsson, erklärt auch warum: In Schweden gibt es im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern wie Deutschland zum Beispiel keinen Mindestlohn. Die Gesetzgebung regelt den Rahmen der Arbeit. Im Tarifvertrag sind also nicht nur die Löhne gesetzlich geregelt, sondern auch Urlaubstage und Mitbestimmungsrechte. "Wenn ein Arbeitgeber den Tarifvertrag nicht unterschreibt, dann kann er den Lohn so ansetzen, wie er will", erklärt Nilsson. "Der Tarifvertrag hat in Schweden Tradition, weil wir einen hohen Grad an Gewerkschaftsorganisation haben und Arbeitgeber sie in der Regel auch unterzeichnen. So ist es immer gewesen." Das sei das schwedische Modell, an dem die Streikenden eisern festhalten wollen. Tesla hat bis Redaktionsschluss nicht auf Fragen zu Arbeitsbedingungen, Tarifvertrag und Streik geantwortet.
Worauf Tesla setzt
Als Jānis Kuzma vor sechs Jahren aus Lettland nach Schweden gezogen ist, kannte er die schwedischen Arbeitsbedingungen noch nicht. Deshalb, so sagt er, habe er auch bereits bei seinem ersten Arbeitgeber vor Tesla in Schweden einen Arbeitsvertrag unterzeichnet, der nicht den Regeln des Tarifvertrags in seiner Branche entsprach. Dann landete er bei Tesla – unter den gleichen Bedingungen.
"Firmen wie Tesla setzen genau darauf, dass junge, migrantische Mitarbeiter sich nicht mit dem schwedischen Arbeitsmarkt auskennen", so Kuzma. Ihm habe man bei Tesla gesagt: "Tesla ist nicht für jeden. Wem es hier nicht passt, dem steht die Tür offen." Doch anstatt aufzugeben, hat sich Kuzma entschieden, weiter für den Tarifvertrag zu streiken. Denn wenn er jetzt aufhöre, würden andere wie er vielleicht wieder denselben Fehler machen. Und der nächste Arbeitgeber würde vielleicht wieder nicht die Kollektivabsprache unterschreiben. Vom bisherigen Entgegenkommen von Tesla lassen er und seine Mitstreikenden sich deshalb nicht beschwichtigen: Höhere Renten und Löhne hätten sie geboten. "Aber das sind Fake-Absprachen", so Kuzma, "an die Kollektivabsprache reichen sie nicht heran."
Dabei ist seine Arbeitskraft durchaus nachgefragt, und die meisten Arbeitgeber in der Branche haben Tarifverträge. Das sei einer der Gründe, sagt Gewerkschafterin Nilsson, warum die Gewerkschaftsarbeit bei Tesla in Schweden etwas schwieriger zu organisieren sei als in anderen Ländern. Die Fachkräfte hätten gute Möglichkeiten, einfach den Arbeitsplatz zu wechseln, anstatt sich gewerkschaftlich zu organisieren. In der Nähe der Tesla-Werkstätten gibt es oft genug andere Werkstätten. Und die suchen Personal.
Austausch und Unterstützung mit anderen Ländern, zum Beispiel Deutschland, habe es bereits gegeben, doch jedes Land müsse ja von seinen eigenen Voraussetzungen ausgehen. "Deshalb müssen wir hier in Schweden unsere eigene Strategie fahren", sagt Nilsson. Im Januar 2024 hatte die Gewerkschaft zum Beispiel Erfolg mit einer Blockade. In einer Fabrik in Südschweden, wo ein Teil eines Teslas hergestellt wird. Und diese Produktion konnte die Gewerkschaft stoppen. Mehrere Wochen stand die gesamte Tesla-Produktion still. Doch dann stellte der amerikanische Autobauer die Produktion auf eine norwegische Zulieferfirma um, die die Teile direkt von China bestellte.
In der nun fast zweijährigen Geschichte des Streikes gibt es dieses Muster immer wieder: Verzögerungen im Prozess werden durch Tesla gelöst, in dem sie einen anderen Zulieferer beauftragen. "Wir müssen einfach immer wieder neue Wege finden, uns auszuprobieren", sagt Nilsson. Unterstützt wurden die Streikenden bereits auch schon von Postangestellten, Müllmännern, Hafenarbeiter*innen, Elektriker*innen und Reinigungskräften.
Und Kuzma? Der streikt vor allem auch für folgende Generationen. Er ist der über 100-Jährigen Gewerkschaftsbewegung dankbar sowie der Tatsache, dass er auch schon Gewerkschaftsgenossen aus Deutschland bei Streiks in Stockholm gesehen hat. "Wir müssen in dieser Sache zusammenhalten, um sie auf ein höheres Level zu heben. Wir haben es hier schließlich mit dem reichsten Mann der Welt zu tun", sagt der lettische Wahlschwede.