Ausgabe 02/2020
Kürzungspolitik weg, Kündigungsschutz her
Die öffentlichen Ausgaben in Spanien sind zwischen 2012 und 2018 um über sieben Prozent jährlich zurückgegangen, die Rentenkassen sind leer, die Klassenzimmer überfüllt, die Wartelisten im Gesundheitswesen werden immer länger. Gleichzeitig erhielten krisengebeutelte Banken über 60 Milliarden Euro, die sie nie zurückbezahlt haben. Doch jetzt sollen in Spanien andere Zeiten anbrechen. Seit Anfang Januar ist eine "fortschrittliche Koalition" im Amt. Der Koalitionsvertrag mit dem Titel "Ein neues Abkommen für Spanien" zwischen den Sozialisten (PSOE) von Ministerpräsident Pedro Sánchez und den Linksalternativen von Unidas Podemos (UP) unter Pablo Iglesias sieht die Rücknahme eines beträchtlichen Teiles der Kürzungspolitik der Krisenjahre vor.
Sánchez verspricht "Fortschritt, der niemanden zurücklässt". Die Koalition verbinde "die Erfahrung der PSOE mit dem Mut und der Frische von Podemos". Sie werde "neue Rechte für die Bürger garantieren", verspricht Iglesias. Der UP ist es vor allem gelungen, viele Forderungen der Gewerkschaften und sozialen Bewegungen im Koalitionsvertrag festzuschreiben.
Renten und Mindestlohn erhöht
Und das neue Kabinett hat sich auch umgehend an die Arbeit gemacht. Die Renten wurden nach Jahren der Einfrierung um 0,9 Prozent angehoben. Die Beamten, deren Gehälter während der Krise immer wieder gekürzt wurden, erhalten jetzt zwei Prozent mehr und der Mindestlohn wird in diesem Jahr auf 950 Euro pro Monat steigen. Es ist bereits die zweite Erhöhung. Bevor Sánchez im Juni 2018 per Misstrauensvotum an die Macht kam, betrug der Mindestlohn gerade mal 655 Euro.
Die nächsten Reformen werden wohl nicht ganz so einfach über den Kabinettstisch gehen. UP, die das Arbeitsministerium innehat, will die letzte Arbeitsmarktreform der Konservativen aus dem Jahr 2012, die Kündigungsschutz und Tarifautonomie erheblich aufweichte, vollständig zurücknehmen. Die von den Sozialisten geführten Wirtschafts- und Finanzministerien sprechen hingegen nur von "den Punkten, die am meisten Schaden anrichten". Verhandlungen mit Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden haben begonnen.
Die größte Herausforderung wird der neue Haushalt. Er sollte im März dem Parlament vorgelegt werden und den alten ablösen, der noch aus den Zeiten der Konservativen stammt und seither fortgeschrieben wurde. Dafür braucht es Verhandlungsgeschick,zumal Corona auch Spanien herausfordert. Zudem hat die Regierung PSOE/UP keine Mehrheit im Parlament. Sie kam nur dank der Stimmen mehrerer kleinerer Formationen – unter ihnen die katalanische Republi-kanische Linke (ERC) – ins Amt. ERC ist eine der Parteien, die für die Unabhängigkeit Kataloniens eintreten.
Sánchez verspricht einen politischen Dialog über den Katalonien-Konflikt, um zu erreichen, dass die ERC nicht gegen die Koalition stimmt. "Wenn wir den Konflikt in dieser Legislatur nicht lösen, werden wir ihn zumindest auf einen guten Weg bringen", beteuert Sánchez. Das Szenario gleicht dem von Anfang 2019. Damals ließ die ERC einen Haushalt platzen, nachdem Gespräche zwischen Barcelona und Madrid ausblieben. Vorgezogene Neuwahlen wurden unumgänglich.
Sollte dies erneut geschehen, droht ein Wahlsieg der drei rechten Parteien – die rechtskonservative Partido Popular, die rechtsliberalen Ciudadanos und die rechtsextreme VOX. Dort, wo die drei gemeinsam Regionen regieren, wird unter dem Druck von VOX sexualisierte Gewalt gegen Frauen – gegen die Spanien in den letzten Jahren geeint mit Gesetzen und Programmen vorging – wieder zur "familiären Gewalt". Gelder für Programme gegen Rassismus und Homophobie werden gekürzt. Das gleiche gilt für den Klimawandel. Wenn die neue Regierung hält, werden es harte vier Jahre für Sán-chez und Iglesias. Reiner Wandler