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Umverteilen.Macht.GerechtigkeitIllustration: Michael Klich
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Rutger Bregman: Im Grunde gut

Rutger Bregman ist ein international gefragter niederländischer Historiker mit dem Schwerpunkt Wirtschaft und in Deutschland bekannt, seit er beim letzten Weltwirtschaftsforum in Davos ein flammendes Plädoyer für eine gerechte Besteuerung für Reiche hielt und ein Ende der Steuerflucht forderte. In seinem neuen Buch stellt er eine überraschende These auf: Menschen sind grundsätzlich gut. Dass wir von Natur aus egoistisch, panisch und aggressiv seien, entlarvt Bregman als hartnäckigen Mythos. Sein Fazit: Wer die jüngsten Erkenntnisse von Psychologie und Soziologie, Archäologie und Anthropologie studiert, erkennt die überwiegend positiven Seiten des homo sapiens. Und woher stammt unser negatives Menschenbild? Es basiert auf manipulierten Versuchen wie etwa dem Stanford-Prison-Experiment und unrealistischen Büchern wie Herr der Fliegen, beweist Bregman. Zudem zitiert der 31-Jährige Studien, nach denen sich Menschen vor allem in Notzeiten viel solidarischer verhielten als angenommen. Der Autor plädiert dafür, diese Eigenschaften endlich zu nutzen, um sich nicht länger von Politikern oder Konzernen gegeneinander ausspielen zu lassen. Gegen Egoismus und Ausbeutung helfe Freundlichkeit, und die sei "ansteckend wie die Pest", frohlockt Bregman, dessen Buch kurz vor dem Ausbruch der Corona-Krise erschienen ist.

Günter Keil

Rowohlt Verlag, Ü: Ulrich Faure und Gerd Busse, 480 S., 24 €

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Enno Stahl: Sanierungsgebiete

Mit einem dicken Wälzer widmet sich der Rheinländer Enno Stahl dem großen Thema Gentrifizierung. Zwei Jahrzehnte nach dem Ende der DDR und ein Jahr nach der Finanzkrise steht im Ostteil Berlins das Leben für manch einen Kopf. Die Häuser in Prenzlauer Berg werden entmietet und verhökert, wer hier nicht Akteur ist, muss aufpassen, nicht abgehängt zu werden. Etwa die aus dem Westen zugezogene Studentin, die als Praktikantin im Architekturbüro ausgebeutet wird. Oder Otti, der den Weg des Widerstands mittels Literatur geht. Die allein-erziehende Gewerkschaftsjournalistin Donata reflektiert angestrengt die neu entstehenden Klassenunterschiede. Mühelos bewegt Stahl die wenigen präzise gezeichneten Hauptfiguren sehr unterschiedlicher Provenienz zwischen histo- rischen Abrissen, Statistiken und Interviews mit bekannten Zeugen des großen Ausverkaufs. Nur einer bricht schließlich aus dem von Investoren und Bohème gleichermaßen umkämpften Bezirk aus. Er will in der Ferne sein Glück suchen und zieht um nach Neukölln, dem der gleiche Prozess erst noch bevorsteht.

Renate Kossmann

ROMAN, VERBRECHER-VERLAG, 600 S., 29 €

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Paulina Czienskowski: Taubenleben

Lois wartet auf ihrenSchicksalsschlag, denn sie ist überzeugt: Irgendwann holt das Unglück jeden ein, anders wäre die Welt nicht fair. Als sie nach einem One-Night-Stand auf das Ergebnis ihres HIV-Tests warten muss, ist sie sich sicher, das ist es, ihr Unglück. Und beginnt Stück für Stück, in pausenloser Selbstreflexion und wie ferngesteuert, ihr bisheriges Leben in Fetzen zu reißen. Das führt sie zurück zu der Berliner Hochhauswohnsiedlung, in der sie aufgewachsen ist, zu ihrer gefühlskalten Mutter und den nie gestellten Fragen nach dem frühen Tod ihres Vaters. Taubenleben handelt von der großen Sinnsuche, dem Grübeln und der Angst der Generation Y: Wieso bin ich, wie ich bin? Wer sind die Menschen und Umstände, die mich geprägt haben? Und kann ich, muss ich mich von diesen Einflüssen freimachen, um leben zu können? Paulina Czienskowski formt in ihrem Debütroman aus gerad-linigen Sätzen und schlichten Worten eine tiefgründige, verkorkste Protagonistin, die einem in ihrer schwermütigen Selbstbezogenheit von Zeit zu Zeit fast auf die Nerven geht. Was man ihr aber verzeiht, denn sie arbeitet sich an den schweren Fragen des Lebens ab und stellt dabei auch noch fest, dass sich ihr eigenes, persönliches Unglück schon vor langer Zeit ereignet hat.

Feline Mansch

Roman, Blumenbar/Aufbau Verlag, 224 S., 20 €