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Sara Paretsky: Altlasten

Viele Jahre haben Fans der großen Sara Paretsky, der Mutter des feministischen Hardboiled-Krimis, Schöpferin von Weltbestsellern, Inspiration ganzer Generationen von Krimi-Autorinnen (u.a. deutscher Krimi-Stars wie Simone Buchholz, Christine Lehmann), auf ein neues Buch der US-Amerikanerin warten müssen. Sie wurde in Deutschland schlicht nicht mehr verlegt. Nun legt der Verlag ariadne mit Altlasten den 18. Fall für Paretskys Privatdetektivin V.I. Warshawski vor, und der geniale Plot zeigt die Altmeisterin vom Jahrgang 1947 auf der Höhe ihres Schaffens, aber auch der Zeit: Aus Chicago (Wohnsitz der Autorin) verschlägt es ihre kämpferische Heldin auf der Suche nach einem spurlos verschwundenen jungen schwarzen Filmemacher in Begleitung einer alten schwarzen Filmschauspielerin in eine kleine Collegestadt nach Kansas (Heimat der Autorin). Im Zuge ihrer Recherchen wirbelt die fremde, misstrauisch verfolgte Ermittlerin hartnäckig und furchtlos Jahrzehnte alten Dreck auf. Nicht nur geraten menschliche Beziehungen durcheinander, auch mehrere Morde werden durch aufgedeckte Missetaten provoziert; das Schicksal von Menschen, deren lange zurückliegende Tötung akribisch vertuscht wurde, wird aufgeklärt.

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Die entscheidende Rolle in dem grausigen Puzzle spielt ein Anti-Atom-Camp von 1983, das Silo der Atomraketenstation ragt immer noch bedrohlich über der Landschaft auf. Die tödlichen Hinterlassenschaften atomarer Verunreinigung auf diesem Land scheinen bis heute Unheil zu stiften. Da wird dubioses Saatgut in kontaminierter Erde verbuddelt, Viren und Bakterien aus der Forschung an biologischen Waffen verrichten ihr tödliches Werk, tief sitzender Rassenhass bricht auf und vergiftet das Zusammenleben erneut. Selbsternannte Vaterlandsretter sammeln Geheimarmeen um sich.

Bewundernswert differenziert stellt Paretsky ihre vielschichtigen Charaktere dar, den alten Frauen im Buch begegnet sie mit Empathie. Ihren Roman beendete sie 2016 – seine Themen sind aktueller denn je. "Hier zeigt sich die präzise soziale Gegenwärtigkeit, die wir von Paretsky kennen", schrieb die New York Times, "einer engagierten Aktivistin, deren Gewissen alles durchdringt, was sie verfasst." Alle Themen hängen miteinander zusammen – Paretsky verschränkt sie so raffiniert, dass man atemlos den für ihre Protagonistin immer gefährlicher werdenden Pfaden folgt, die dann in einem unvergleichlich spannenden, intensiven Showdown enden. Alles ist aufgedeckt, dem Gesetz des Genres ist Genüge getan. Aber niemand ist, von Altlasten befreit, wirklich glücklich. Und die siegreiche Heldin hat Liebeskummer. Ulla Lessmann

Verlag ariadne/Argument, Übersetzung: Laudan & Szelinski, 540 S., 24 €

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Candace Bushnell: Is there still Sex in the City?

Candace Bushnell wurde berühmt mit der Vorlage, die sie für die Kultserie "Sex and the City" schrieb. In ihrem neuen Buch erzählt sie wieder von besten Freundinnen (anderen als damals), die sich in Freud und Leid beistehen. Sie alle kämpfen mit dem IDL: dem Irrsinn der Lebensmitte. Gewissermaßen das feminine Pendant zur Midlife-Crisis, die ja eher Männer heimsucht. Die Frauen sind in einer ähnlichen Situation. Jenseits der 50 müssen sie – zumeist nach einer fiesen Scheidung – erneut ihren Platz im Leben finden. Dabei spielt auch die Sehnsucht nach einer neuen Beziehung eine Rolle. Aber einen passenden Partner zu finden, gestaltet sich schwierig bis aussichtslos. Trotzdem wird getindert, gedatet, verkuppelt, leider nur mit mickrigem Erfolg. Doch unverhofft kommt oft. Plötzlich taucht ein Mr. Big auf – justament, als man schon gar nicht mehr damit gerechnet hat. Wer nicht suchet, der findet. Der Tonfall in diesem Buch kommt einem aus der Serie bekannt vor: witzig, spritzig, selbstironisch. Aber auch mitfühlend und durchaus tiefgründig. Es ist ein Hoch auf die Freundschaft, die in den späteren Jahren noch einmal wichtiger ist denn je. Zelebrieren wir sie!

Tina Spessert

DuMont Buchverlag, Aus dem Amerikanischen von Jörn Ingwersen, 252 S., 18 €

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David Szalay: Turbulenzen

Dieser faszinierende Roman beginnt in London und setzt sich in Madrid, Dakar, Toronto und acht weiteren Städten fort. Zwölf kurze Kapitel verbinden darin jeweils zwei Menschen durch zwölf Flüge an zwölf Schauplätzen. In jeder Stadt bleibt eine Person zurück, und die andere reist weiter, in die nächste Geschichte. Durch diese aufeinander aufbauende Erzählweise überrascht das schmale Buch stets aufs Neue. Als Protagonisten fliegen mit: ein Pilot, eine Schriftstellerin, eine Journalistin, ein Geschäftsmann und viele weitere Reisende. Sie alle stehen für die Entwurzelung und Zerrissenheit der Menschen in einer globalisierten Welt. Genauso gut kann man in den zwölf literarischen Flügen jedoch auch die Chancen erkennen, die der Austausch von Kulturen und Menschen möglich macht. Der britische Autor David Szalay urteilt jedenfalls nicht über seine Protagonisten und ihre Reisebewegungen. Er beobachtet sie nur, aufmerksam und aus nächster Nähe, um sie bald wieder nach oben zu schicken, in den Himmel, in neue Turbulenzen. Bis sie schließlich landen, in Hongkong, Ho-Chi-Minh-Stadt, Delhi, Kochi, Doha und Budapest. Eine literarische Weltreise im Rekordtempo. Günter Keil

Carl Hanser Verlag, Aus dem Englischen von Ahrens Henning, 136 S., 19 €