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Joachim Meyerhoff: Hamster im hinteren Stromgebiet

Oberflächlich betrachtet, könnte man Joachim Meyerhoff als charmanten Dampfplauderer einstufen, der in seinen Büchern sein eigenes Leben nacherzählt. Doch damit würde man seiner Fabulierkunst und Tiefe nicht gerecht werden. Hinter der lockeren Fassade steckt bei Meyerhoff immer auch das Drama des Lebens – in seinem fünften Roman noch viel deutlicher als sonst. Denn der Schauspieler macht seinen vor zwei Jahren erlittenen Schlaganfall zum Thema, und so wird sein Text zu einer Gratwanderung. Einerseits persönlich und tragisch, andererseits lustig und komisch. Das Buch spielt in den neun Tagen, die Meyerhoff im Krankenhaus lag. Er kann seine linke Körperhälfte kaum bewegen und muss sich mit der überraschenden Diagnose abfinden. Er schreibt: "Ich möchte davon erzählen, wie es ist, wenn die Selbstverständlichkeit der Existenz von einem Moment auf den anderen abhanden kommt." Also notiert Meyerhoff seine Ängste und Hoffnungen, erinnert sich an Reisen, schwärmt von seinen Kindern und versucht, übers Erzählen die Sorgen um seine Gesundheit in den Griff zu bekommen. Ein berührendes Buch, das zeigt, wie es Joachim Meyerhoff gelingt, sogar dem Schlaganfall mit Humor zu begegnen. Günter Keil

Kiepenheuer und Witsch, 320 S., 24 €

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Heidi Rehn: Die Tochter des Zauberers

Über keine deutsche Familie ist so viel geschrieben worden wie über "die Manns". Nicht nur Thomas, auch seine Kinder faszinieren Biografen bis heute, allen voran Erika und Klaus. Heidi Rehn, renommierte Autorin vor allem historischer Romane, hat sich nun der Tochter des Zauberers auf ungewöhnliche und gewagte Art genähert: Sie schildert aus Erikas Sicht deren leidenschaftliche Liebesbeziehung mit dem Arzt und Schriftsteller Martin Gumpert, die sie ab 1936 im New Yorker Exil erlebt. Rehn gelingt es, das prekäre Leben der von den Nazis vertriebenen, meist jüdischen, intellektuellen und künstlerischen Elite der Weimarer Republik ungemein bildhaft und authentisch zu schildern. Mittendrin die schöne, begabte, kluge, selbstbewusste Erika Mann, die die USA über die Gefahren durch das Hitler-Regime aufklärt, die vor Tausenden über die "Frau im Faschismus" spricht, die sich um alle, vor allem den drogensüchtigen Bruder Klaus, kümmert. Sie lässt sich von einem reichen Gönner aushalten, der die Rechnungen ihrer mittellosen Freunde bezahlt, liebt neben ihm die Großschauspielerin Therese Giehse und eben Martin Gumpert, von dem sie ein Kind erwartet, das sie abtreibt. Sie will unabhängig bleiben. Er bleibt trotzdem jahrelang ein treuer Freund. Erika hinterließ keine Tagebücher, wohl aber tausende von Briefen. Rehn hat sie studiert und ein beeindruckendes Einfühlungsvermögen bewiesen; doch, so könnte es gewesen sein, so könnte diese starke Frau gelacht, geweint und gestritten haben, so könnten die Vertriebenen diskutiert, gearbeitet, gefeiert haben. Rehn schafft es, dass wir dieser widersprüchlichen, mitreißenden, liebes- und leidensfähigen Frau tatsächlich näher kommen. Ulla Lessmann

Aufbau, 447 S., 12,99 €