Ausgabe 08/2020
Besser mehr als weniger
Am 4. Februar 2020 feierte der ver.di Landesbezirk Nord mit einer großen Festveranstaltung in Schwerin den 100-jährigen Geburtstag der Betriebsverfassung. Festredner war Franz Josef Düwell, Vorsitzender Richter a. D. am Bundesarbeitsgericht. Zu jenem Zeitpunkt konnte noch niemand ahnen, welche Einschränkung die herannahende Pandemie mit sich bringen würde. Diese hat dafür gesorgt, dass viele der weiteren geplanten Feierlichkeiten weitgehend im virtuellen Raum stattfanden und das Mitbestimmungsjubiläum somit leider fast unbemerkt von der Öffentlichkeit blieb.
Nach den Schrecken des 1. Weltkrieges mussten die Lehren aus der Katastrophe gezogen werden. Freie, unbeschränkte Wahlen, Wahlrecht für Frauen, die 40-Stunden-Woche und die Tarifautonomie sollten der Hebel für ein "Nie wieder!" sein. Mitbestimmung zog in die Betriebe und Dienststellen ein. Das Betriebsverfassungsgesetz von 1920 und später das Personalvertretungsgesetz haben dazu die rechtlichen Grundlagen gegeben. Der Einstieg der Arbeitswelt in die Moderne wurde durch große Demonstrationen und starke Gewerkschaften erst möglich.
Viele Mitbestimmungsrechte stehen aktuell auf dem Spiel. Die Covid-19-Pandemie scheint einige Arbeitgeber zum Ausbremsen von Mitbestimmung zu beflügeln. So fordern die Gesamtmetallarbeitgeber in ihrem Positionspapier unverblümt: "Insbesondere muss auf eine Ausweitung der Mitbestimmung über den Hebel des Arbeits- und Gesundheitsschutzes verzichtet werden. Das Mitbestimmungsrecht aus dem Betriebsverfassungsgesetz muss auf seinen Kern beschränkt bleiben."
Die Auswirkungen dieses Roll-Backs erlebt auch Eva Schleifenbaum. Sie ist in ver.di Landesfachbereichsleiterin für den Bereich Bildung, Wissenschaft und Forschung. "Bei vielen Maßnahmen haben die Personalvertretungen den Eindruck, dass Mitbestimmung als lästig, überflüssig oder schlicht zusätzliche Arbeit verursachend empfunden wird", bemängelt sie. In einem Brief, der unter anderem an die für die Universitäten und Forschungseinrichtungen zuständige Ministerin Bettina Martin, SPD, in Mecklenburg-Vorpommern gerichtet ist, schreibt sie: "Personalräte werden nicht als Partner auf Augenhöhe empfunden. Ihre Rolle scheint vielmehr die einer lästigen Kontrollbehörde zu werden, der man gezwungenermaßen gewisse Vorgänge und geplante Maßnahmen offenbaren muss, die man ansonsten aber lieber auf Abstand hält."
"Nicht die Beschränkung der Mitbestimmung, sondern deren Ausweitung ist ein Rezept zum Bewältigen der aktuellen Krise", betont die ver.di-Landesbezirksleiterin Susanne Schöttke. "Die konsequente Demokratisierung der Wirtschaft und der Verwaltung ist ein Schlüssel für einen funktionierenden Sozialstaat."