Ausgabe 08/2020
Kunst und Denken über Kunst
Michael Weber ist Film-, TV- und Bühnen-Schauspieler am Deutschen SchauSpielHaus Hamburg, Filmemacher und Buchautor
ver.di publik – Was bedeutet der neuerliche Lockdown für die Hamburger Theater?
Michael Weber – Für viele Kolleg*innen heißt das: Proben! Wir sind alle auf Kurzarbeit, das SchauSpielHaus ist ein städtisches Theater. Wir bekommen feste Gagen, sind fest angestellt, also wird geprobt. Die Produktionen werden bis zu einem gewissen Grad fertiggestellt, premierenreif, wie wir das nennen, dann werden sie auf Eis gelegt.
ver.di publik – Kurzarbeitsgeld für fest angestellte Schauspieler*innen, was ist mit den freischaffenden?
Weber – Meine Frau ist freischaffende Schauspielerin, noch geht das bei ihr, aber bei allen Freien im Kunstbetrieb sind so langsam die Reserven aufgebraucht. Im Moment kommt gar nichts rein. Auch, weil die Akquise schwierig ist: Keiner will sich festlegen und Verträge machen. Die Jungen, die noch nicht so arriviert sind, haben es schwer. Auch die, die an kleinen Theatern arbeiten, an Privattheatern, in freien Gruppen, in freien Produktionen. Und die älteren Kolleginnen und Kollegen werden aus TV-Drehbüchern gestrichen, weil die zu den Risikogruppen gehören.
Auch für Techniker*innen und die, die rund um die Bühne arbeiten, die teilweise outgesourcte Verträge haben, ist es jetzt extrem schwierig. Das sind 'Saisonarbeiter', deren Verträge oft nur für kurze Zeit oder eine Produktion laufen, da wird es dann ganz schnell prekär.
ver.di publik – Welche Hilfsangebote wären Deiner Meinung nach nötig?
Weber – Es wurde zu Beginn der Pandemie über ein bedingungsloses Grundeinkommen debattiert. Das muss jetzt endlich umgesetzt werden. Ich finde, Kunst, die nur marktwirtschaftlich organisiert ist, ist Käse, das muss einer Gesellschaft bewusst sein. Ein Leben für Kreativität leben zu können auf einem Lebensstandard, mit dem man überleben kann, das muss möglich gemacht werden.
Eine zweite Maßnahme wäre, den Mietendeckel endlich durchzusetzen, damit die Mieten nicht weiter steigen, um die Lebenshaltungskosten für alle, aber eben auch für solche Gruppen einschätzbar zu halten und damit Überleben zu sichern. Das wären allgemeine Maßnahmen. Mit diesen Hilfspaketen, die in der ersten Phase der Corona-Pandemie ausgeschüttet worden sind, haben wir in unserer Familie eher gute Erfahrungen gemacht, das war schnelle, unbürokratische Hilfe, aber das reicht natürlich nur eine bestimmte Zeit und ändert nichts Strukturelles. Denn nur, wenn Künstler*innen nicht in Krisen wirtschaftlich in den freien Fall geraten, ist Kontinuität von Kunst und Denken über Kunst möglich.
ver.di publik – Du bist langjähriges ver.di-Mitglied und hast zuletzt virtuell Warnstreiks aus Solidarität mit Lesungen unterstützt. Wie war das?
Weber – Das war toll. Dass man es nicht beim Applaus von den Balkonen belässt, sondern Warnstreiks unterstützt, das finde ich selbstverständlich und für mich ganz klar. Das hat einfach Spaß gemacht, den Streikenden was Unterhaltendes über St. Pauli vorzulesen. Das war super.
ver.di publik – Du bist seit 1985 ver.di-Mitglied. Warum?
Weber – Für mich war das eine politische Entscheidung. Ich war damals Anfänger am Thalia-Theater und merkte, ich bewege mich nur noch in Theaterkreisen und denke über Theater nach. Und da dachte ich, ich trete in eine Organisation ein, die mich zwingt, mich mit anderen Lebensrealitäten zu befassen. Es gibt von Hanns Eisler einen Satz: "Wer nur was von Musik versteht, versteht von Musik nichts!" Und so ging es mir mit dem Theater. Das war nicht immer nur Liebe zu ver.di, zu deren Positionen, aber wichtig war immer, dass ich mich damit auseinandersetzen musste – weit ab von meiner eigenen Lebensrealität. Das ist für mich tatsächlich bis heute zentral.
ver.di publik – Wie verändert Corona die Hamburger Theaterwelt?
Weber – Im Moment sind die Theater abgesichert, und ich finde, dass sich der Kultursenator Carsten Brosda, SPD, gut verhält. Ich fürchte allerdings – und das ist pragmatisch zu sehen –, dass Sparmaßnahmen im Nachhinein kommen. ,Man muss den Gürtel enger schnallen', was ich schon seit 40 Jahren höre, mag für die Städtischen vielleicht noch gehen, für die kleineren Theater wird das schwierig werden – so ein, zwei Jahre nach der Pandemie.
Das Buch "Martha – ein Leben auf St. Pauli" von Michael Weber ist im Junius-Verlag erschienen und auch als Hörbuch – gelesen vom Autor selbst – verfügbar