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Illustration: Stefano Di Cristofaro, Paul Pereda

Kitty O’Meara: Und die Menschen blieben zu Hause

Die oft hässliche Welt der sozialen Medien bleibt in diesem Buch ganz außen vor, und doch war es erst die Wirkmacht des Internets, das ihm den Weg zu uns bereitet hat. Im Frühling des vergangenen Jahres, zu Beginn der Corona-Pandemie, gehen die ehemalige Lehrerin Kitty O'Meara aus Winsconsin, USA, ihr Mann, ihre fünf Hunde und drei Katzen gemeinsam in Quarantäne. Sie haben noch Glück; ihr Heim ist ein Farmhaus mit Garten, und O'Mearas Mann Philip ist Schreiner und werkelt daheim. Und doch sind sie wie alle anderen plötzlich auf sich selbst zurückgeworfen.

O'Meara schreibt, seit sie ein kleines Mädchen ist, doch alle ihre Werke kamen über die Schublade nicht hinaus. Damit hat sie sich längst abgefunden, als sie ihre Gedanken über diese seltsame Situation des Rückzugs des Menschen vor der Welt in ein paar Verse gießt und sie bei Facebook postet. Sie hat ein Gedicht zur Pandemie geschrieben. In einfachen, berührenden Worten drückt sie darin eine Hoffnung aus über das, was diese Katastrophe den Menschen, den Tieren, der Natur und der Kunst Gutes tun kann. Und blendet bei allem Optimismus den Schmerz nicht aus, das Bedürfnis aller nach Heilung und Trost. Sie macht das Licht aus, geht ins Bett und drei Tage später ist ihr Gedicht tausendfach geteilt und in zahllose Sprachen übersetzt. Es inspiriert fortan Maler*innen, Opensänger, Tänzerinnen in aller Welt, die es auf ihre Weise interpretieren.

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Kurz erhebt Facebook nochmal sein Haupt: Dort entspinnen sich Gerüchte über die Urheberschaft des Gedichts, es wird allen möglichen Leuten zugesprochen, bis hin zu einer längst Verstorbenen. Doch auch dieses Gebrodel kommt wieder zur Ruhe, und die Schauspielerin Kate Winslet spricht O'Mearas Gedicht für ein Audiobuch ein, bevor es schließlich illustriert in den Druck geht. Der Berliner Verlag Goldblatt hat das Gedicht nun auch in deutscher Übersetzung als altersloses Bilderbuch für Jung und Alt herausgebracht, aus dem man nach dem Betrachten oder Vorlesen tatsächlich seelisch erfrischt hervorgeht. Die Illustrationen übernehmen den Trost der Augen, und den Abschluss bildet schließlich ein Gespräch mit der sympathischen Autorin, in dem sie jeden dazu ermutigt, gerade in dieser Zeit drauflos zu malen, zu schreiben, einfach jede Art künstlerischer Tätigkeit aufzunehmen, ohne das Ergebnis zu bewerten. Einfach nur, weil es gut tut. Denn man weiß nie, was am Ende für ein Schatz dabei herauskommt. Jenny Mansch

BILDERBUCH MIT ILLUSTRATIONEN VON STEFANO DI CRISTOFARO UND PAUL PEREDA, AUS DEM ENGLISCHEN VON JENNIFER HOLLEIS; GOLDBLATT VERLAG 2020, 32 S., 17,95 €

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Katharina Peters: Todeswall

Jetzt, wo wir alle nirgendwo hinreisen können, ist ein Ausflug an die Ostsee, zumal in die wunderschönen Städte Wismar und Schwerin, ein Sehnsuchtsziel. Aber Obacht: In stürmischer Strandidylle und zwischen weißen Villen lauern Mord, Vergewaltigung und tödliche Intrigen. Privatermittlerin und Ex-Polizistin Emma Klar, die ihrem programmatischen Nachnamen charakterlich gerecht wird, soll im Auftrag der Polizei den mysteriösen Selbstmord einer jungen Frau untersuchen – deren Mutter wurde vor Jahren vergewaltigt und ermordet, ihr Mörder nie gefunden. Emma recherchiert mit Hilfe ihres Lebensgefährten und eines digitalaffinen Freundes mit analytischer Intelligenz und furchtlosem Einsatz, stößt auf weitere ungeklärte Morde an Frauen und entlarvt ein ungeheuerliches Verbrechen. Das ist so monströs und exzellent im Gestrüpp falscher Fährten versteckt, dass man die erfahrene Bestsellerautorin spürt, die gekonnt mit den Nerven und Erwartungen ihrer Leserschaft spielt. Katharina Peters lässt mit ihrer differenzierten Personenzeichnung Empathie für die entschlossene Heldin und ihre Gefährten zu, ihre mutigen Ermittlungen bleiben jederzeit nachvollziehbar und stimmig, was beileibe nicht in jedem Thriller der Fall ist. Auch Emmas Erschütterung über die wahrhaft gruselige Lösung, die jeden raffiniert geknüpften Knoten glaubwürdig aufdröselt, nimmt man ihr ab. "Lass es gut sein, Emma. Die Geschichte ist rund", heißt es am Ende der faszinierenden Geschichte. Stimmt. Ulla Lessmann

Aufbau Verlag, 349 S, 9,99 €

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T.C. Boyle: Sprich mit mir

Ein Schimpanse, eine junge Frau und ein Professor. T.C. Boyle erweist sich als der perfekte Autor für diese furiose Dreiecksgeschichte, und von der ersten Seite an spürt man seine Erzähllust. Er schreibt über Tierschutz versus Forschung, Liebe versus Profit, Frau versus Mann. Der Plot spielt vor rund 60 Jahren in den USA. Ein Professor zieht einen neugeborenen Schimpansen auf seiner Universitäts-Ranch wie ein Kind auf. Er bringt ihm die Gebärdensprache bei und versucht, seine menschlichen Seiten zu erforschen. Sam heißt das Tier, und eine der Uni-Assistentinnen, Aimee, baut zu ihm ein inniges Verhältnis auf. Als die Forschungsgelder gestrichen werden und Sam von einer anderen Universität beschlagnahmt werden soll, beschließt Aimee, den Schimpansen zu entführen. T.C. Boyle schreibt rasant und abwechslungsreich und entwickelt einen starken Sog. Das Konfliktpotenzial ist hoch. Ab und zu nimmt Boyle die Perspektive des Schimpansen ein, dieses hyperaktiven, intelligenten und doch kindlichen Wesens. In diesen kurzen intensiven Passagen läuft Boyle zu seiner Hochform auf – seine extra dafür kreierte Sprache bringt Sams Dilemma und seine Verzweiflung grandios auf den Punkt. Günter Keil

Hanser Verlag, Übersetzung Dirk van Gunsteren, 352 S., 25 €