Laura Noll: Der Tod des Henkers

Mit ihrem Debüt, mit dem sie für den renommierten "Glauser"-Krimipreis nominiert ist, hat sich Laura Noll auf dünnes Eis gewagt: Sie lässt den historischen Gestapokommissar Pannwitz, einen studierten Theologen, im besetzten Prag des Jahres 1942 den tödlichen Anschlag auf den Reichsprotektor Reinhard Heydrich aufklären.

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Ausschnitt Buchcover „Laura Noll: Der Tod des Henkers“Verlag

Ich-Erzähler Pannwitz, dessen Aufzeichnungen tatsächlich existieren, ringt um eine saubere, kriminalistische Untersuchung, um willkürliche Vergeltungsmassnahmen der deutschen Besatzer unter der tschechischen Zivilbevölkerung zu verhindern. Dieser schreckliche Kampf eines Nazis gegen seine noch grausameren Vorgesetzten ist das eigentliche Thema dieses hochspannenden und sehr bewegenden Romans. Noll, die mit Hilfe eines Stipendiums des Netzwerks "Mörderische Schwestern" schrieb, macht die Atmosphäre des Grauens unter der Terrorherrschaft lebendig. Ihre Dialoge wirken authentisch und in ihrer Zeit verortet. Den Gewissensqualen Pannwitz', der dennoch dem mörderischen Regime dient, gönnt sie keine Sympathie, sondern die Analyse eines Charakters zwischen Feigheit und Loyalität, Mut und Versagen. Er findet die Attentäter, die Sinnlosigkeit seiner Pläne wird anhand der mindestens 1.500 Hingerichteten schonungslos deutlich. Nur wenig, aber glaubwürdige Fiktion und Fantasie hat Noll sich erlaubt. In einem feinen, klugen Nachwort fragt sie: "Darf dem Blickwinkel der Täter und Vollstrecker überhaupt Raum gegeben werden? Darf man sie als Mensch darstellen?" Ja, wenn man das dünne Eis mit Sensibilität und Umsicht betritt und die Ambivalenz dieses Unterfangens zulässt. Dann wird daraus ein zutiefst menschliches Buch. Ulla Lessmann

Gmeiner, 409 S., 18 €

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Petra Morsbach: Der Elefant im Zimmer

Aleitung und Essay zur Zivilcourage ist das neue Buch von Petra Morsbach. Drei reale Fälle protokolliert sie, jeder Fall ein Psychokrimi: Der Kirchenskandal um den österreichischen pädophilen Kardinal Groer, der politische Skandal um die Nebengeschäfte der bayerischen Ministerin Haderthauer und ihres Ehemannes und der Fall aus einer Akademie. Wie geht Widerstand, wenn alle vom Machtmissbrauch wissen, aber keiner sich muckst? Morsbach zerlegt profund die Methoden der Mächtigen, sich aus der Affäre zu ziehen, wenn die Sache öffentlich wird: Imponiergehabe, Bluff, Drohungen. Mitwisser schweigen. Wie kann das sein, fragt Morsbach und konstatiert ein "Tabu der Macht". Zudem führen Angst und Denkblockaden zur Verharmlosung oder Verleugnung der Missstände. Machtmissbrauch geschieht überall in Hierarchien, in Schulen, Universitäten, Betrieben. Deshalb endet Morsbach mit einem "Protest-Know-how" für jene, die sich dem Fehlverhalten von Mächtigen nicht mehr unterwerfen wollen. Spannender kann Staatsbürgerkunde kaum sein. Claudia Decker

Penguin, 368 S. 22 €

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Megan Hunter: Die Harpyie

Lucy bestraft Jake, ihren Mann. Drei Mal. Denn er hat sie betrogen und einem Deal zugestimmt, der vorsieht, dass seine Frau seine Untreue rächen darf. Also verletzt Lucy Jake, physisch und psychisch. Dieser kurze Roman aus England ist kein typisches Ehedrama oder Mainstream-Beziehungsthriller. Sondern ein brillantes Psychogramm im beunruhigenden Mittelreich zwischen Wahn und Wirklichkeit. Denn Lucy glaubt, sich in eine Harpyie zu verwandeln, das Mischwesen aus der griechischen Mythologie. Die Vogelgestalt mit Frauenkopf hat Lucy schon als Kind fasziniert, und nun, in ihrer Wut und Verzweiflung als betrogene Ehefrau, wird die Harpyie zu ihrem Vorbild. Sie findet Gefallen daran, Jake zu verletzen. Megan Hunter genügen wenige Worte, um tiefe Abgründe einzufangen. Von Beginn an umgibt ihren Roman etwas Bedrohliches, Unheimliches – die Familienidylle wird von Lucy und Jake nur imitiert, wie von Schauspielern. Dahinter toben Stürme, und hinter Hunters reduzierter, klarer Sprache flackern Kindheitstraumata auf, stürzt das Ehepaar ins Dunkel, fällt Lucy aus der Rolle. Eine intensive Geschichte von Rache, Schuld und Vergebung. Günter Keil

C.H. Beck, übersetzt von Ebba D. Drolshagen, 229 S., 22 €