Pandemie kein Streikbrecher

Sueddeutsche Zeitung online, 27. April 2021

Die großen Gewerkschaften, allen voran Verdi und die IG Metall, haben gezeigt, dass sie auch per Online-Warnstreik Druck entfalten und gute Ergebnisse erzielen. Die Arbeitnehmer können froh darüber sein, denn für viele von ihnen sind die Zeiten schwer. Die einen stöhnen über die andauernde Kurzarbeit, die anderen wollen endlich gute Bedingungen bei der Heimarbeit – und für beinahe alle wird es in den kommenden Monaten und Jahren um die große Frage gehen, wer die Hauptlast der Krise trägt. Der Staat? Die Arbeitgeber? Oder doch die Beschäftigten? Für eine Gesellschaft ist es gut, wenn die eher kleinen Leute auf starke Interessenvertreter zählen können.

Vordertüren bleiben zu

Telepolis, 4. Mai 2021

Am Vormittag des 1. Mai beteiligten sich abermals 2.000 Menschen an einer gewerkschaftlichen Kundgebung unter dem Motto "Nicht auf unseren Rücken". Die Organisatoren waren über die große Resonanz positiv überrascht, weil sie nur wenige Wochen Zeit zur Mobilisierung hatten, nachdem der Deutsche Gewerkschaftsbund pandemiebedingt in Berlin die alljährliche Kundgebung abgesagt hatte. Nun zeigte sich, dass es möglich ist, auch ohne Großorganisationen Tausende für soziale Fragen zu mobilisieren. So wurden auch Beispiele bekannt, wie sich Beschäftigte unter Corona-Bedingungen erfolgreich gegen die Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen wehren können. Hier ein kleines Exempel. Da hatten es die Berliner Verkehrsbetriebe als Rückkehr in die Normalität verkauft, dass ab 3. Mai Fahrgäste wieder an der Vordertür in die Busse steigen müssen. Dagegen wandte sich die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, die dadurch gesundheitliche Gefahren für die Busfahrer unter Corona-Bedingungen befürchtete. Der Protest hatte Erfolg, die vorderen Türen der Busse bleiben vorerst weiterhin geschlossen.

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Leonhard "Loni" MahleinFoto: Harald Frey

Auf die eigene Kraft vertrauen

VOR 100 JAHREN GEBOREN – Leonhard "Loni" Mahlein, von 1968 bis 1983 Vorsitzender der westdeutschen Industriegewerkschaft Druck und Papier, einer Vorgängerorganisation von ver.di, hätte am 4. April 2021 seinen 100. Geburtstag begehen können. Der Spross einer klassenbewussten Nürnberger Arbeiterfamilie erlernte den Beruf des Buchdruckers. Unter dem Motto "Auf die eigene Kraft vertrauen" prägte er als Gewerkschaftsvorsitzender das Bild einer kämpferischen Selbsthilfeorganisation der abhängig Beschäftigten. Unter Mahleins Führung kam es 1973 zum ersten Flächenstreik der Drucker nach 20 Jahren. 1976 durchbrach die IG Druck und Papier mit einem heftigen Arbeitskampf die regierungsamtlichen "Lohnleitlinien", 1978 erkämpfte sie einen Tarifvertrag zum wirksamen Rationalisierungsschutz. Der legendäre Gewerkschafter starb 1983 plötzlich und unerwartet mit 64 Jahren. Ein ausführliches Porträt von ihm zeichnet der ehemalige ver.di-Pressesprecher Hermann Zoller im Internet auf den "NachDenkSeiten". hem

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