Ausgabe 03/2021
Keine One-Man-Show
Westfalen – Zu Beginn ihres ersten Zusammentreffens war Barbara Granseuer skeptisch. Zur Vorbereitung der Tarifrunde für die Beschäftigten im öffentlicher Dienst von Bund und Kommunen im vergangenen Jahr nahm sie an einer Tagesveranstaltung von ver.di teil. Einer der drei Referent*innen war Julian Ehret, der den Bezirk Westfalen in punkto Organizing unterstützte. Schwerpunkt: Wie motiviert man die Kolleg*innen, in der Tarifrunde, für ihre Interessen einzutreten? Nichts Neues, dachte die "gestandene Gewerkschafterin", wie sich Barbara Granseuer selbst bezeichnet.
Respektvolles Miteinander
Doch am Ende des Tages war die Betriebsrätin der Städtischen Seniorenheime Dortmund überzeugt, nicht zuletzt von Julian Ehret und dem Team. "Er hat nicht nur Wissen vermittelt, er hat uns zugehört", erinnert sie sich. "Freundlich zugewandt" beschreibt sie ihn, und aus diesem respektvollen Miteinander entstand ein passgenaues, aber dennoch flexibles Konzept für die Ansprache ihrer Kolleg*innen. Und es blieb nicht bei dem einmaligen Treffen. Julian Ehret ist mit in die Betriebe gegangen, hat nachgefragt, sodass eine Verbindlichkeit entstanden ist. Und er hat darüber hinaus unterstützt, nicht nur bei den Städtischen Seniorenheimen, sondern auch bei anderen Betrieben, für die es um bessere Bedingungen in der Tarifrunde ging.
Denn trotz ihrer langjährigen Erfahrung war diese Tarifrunde auch für Barbara Granseuer anders. Während sonst in Dortmund schon mal 30.000 Aktive aus dem öffentlichen Dienst zu einer Kundgebung auf dem Friedensplatz zusammenkommen, waren im vergangenen Jahr wegen Corona nur kleine Aktionen an unterschiedlichen Orten möglich. 30 statt 30.000 Menschen, und dennoch hinterließen die Aktionen Eindruck. So entstand bei den Städtischen Seniorenheimen Dortmund mit Julian Ehrets Unterstützung ein kleiner Film, der im Internet vielfach angeklickt wurde. Das brachte mehr Resonanz, als Barbara Granseuer vorher gedacht hatte.
Jetzt, ein halbes Jahr nach dem Tarifabschluss, ist sie immer noch motiviert. Zwar ist das Haus, in dem sie arbeitet, gut organisiert, aber durch Fluktuation kommen immer wieder neue Kolleg*innen, die sie für ver.di gewinnen möchte. Gar nicht so einfach im eng getakteten Arbeitsalltag in der Pflege. Aber Barbara Granseuer nimmt sich die Zeit, fragt hartnäckig immer wieder nach. Denn es geht gerade in der Pflege bei den Tarifverhandlungen um mehr als um mehr Geld alle Jahre wieder.
Überzeugt hat Julian Ehret aber nicht nur Barbara Granseur, sondern im gesamten Bezirk. Organizing nennt sich das, was er macht. Ansprache und Mobilisierung, Hilfe zur Selbsthilfe, mit der die Kolleg*innen befähigt werden, gemeinsam ihre Interessen durchzusetzen.
Und die Ziele klar benennen
Julian Ehret ist seit dem 1. April beim ver.di-Bezirk Westfalen fest angestellt. "Für uns ist Organizing ein wichtiges Instrument, um betrieblich noch stärker unterwegs zu sein", sagt Bezirksgeschäftsführer Michael Kötzing. "Wir wollen unsere Klaviatur der betrieblichen Ansprache und Möglichkeiten ergänzen." Julian Ehret ist nach seiner Aussage einer der ersten bei ver.di festangestellten Organizer in einem Bezirk. Mit einer halben Stelle kümmert er sich ums Organizing für alle Fachbereiche, auf einer weiteren halben Stelle ist er im Fachbereich Ver- und Entsorgung des Bezirks beschäftigt. Bisher hat ver.di bundesweit unter anderem mit dem Team von "organizi.ng" zusammengearbeitet, zu dem auch Julian Ehret bislang gehört hat.
So war Ehret in den vergangenen Jahren bundesweit immer wieder bei verschiedenen Projekten unterwegs. Auf seine Festanstellung ist er "stolz wie Bolle". Wie groß und vielfältig die Nachfrage auch in seinem Bezirk ist, hat er schon in den ersten Tagen seiner Festanstellung in Dortmund festgestellt. Noch ist er dabei, sich bei den Fachbereichen und Personengruppen vorzustellen. Einige der Kolleg*innen kommen mit konkreten Projekten, andere kommen mit Ideen oder holen sich erst mal Anregungen. "Viele Leute verstehen viele verschiedene Dinge unter Organizing", hat Julian Ehret festgestellt. Durch das Kennenlernen will er Skepsis abbauen. Eins werde immer schnell klar: Organizing ist weit mehr, als Mitglieder zu gewinnen.
So reichen die ersten Projekte, die er jetzt unter einen Hut bekommen muss, vom kurzen Ansprachetraining bis zu einem längerfristigen Einsatz bei einer Servicetochter des Städtischen Klinikums. Hier hat er gemeinsam mit ver.di-Sekretär Marc Kappler gerade angefangen, erste in ver.di organisierte Beschäftigte dabei zu unterstützen, Ziele zu benennen, weitere Mitstreiter*innen zu gewinnen und dann die Ziele gemeinsam zu erreichen – ein klassisches Organizing-Projekt. "Das Ziel eines Organizers ist es immer, sich überflüssig zu machen", sagt Julian Ehret. Und das sei keine One-Man-Show: "Ich kann immer nur so gut sein, wie die Aktiven es sind."