09_HR_21479633.jpg
Foto: Andreas Pein/laif

Alles begann vor drei Jahren in Berlin-Neukölln. Ein paar Tage vor Ende der Sommerferien trafen sich die Lehrer*innen, um den Unterrichtsstart vorzubereiten – und waren entsetzt: Überall auf den Tischen lag Staub, die Fußböden waren dreckig. Niemand hatte hier in den vergangenen sechs Wochen saubergemacht. "Einige Lehrkräfte sind dann zum Supermarkt, haben Reinigungsmittel gekauft und erst mal drei Stunden lang geputzt", berichtet Philipp Dehne. Dass sie sauer waren, sei kein Ausdruck von Standesdünkel, betont der 37-Jährige. "Lehrkräfte haben einfach andere Aufgaben." Später erfuhren die Kolleg*innen den Grund für den Schmutz: Die Verträge der bisherigen Reinigungsfirmen waren vor den Sommerferien ausgelaufen und die Nachfolgebetriebe hatten noch nicht angefangen.

Unhaltbare Zustände

Phillipp Dehne war eigentlich gerne Lehrer. Kinder und Jugendliche zu begleiten, ihnen durch spannende Projekte Politik und Ethik nahezubringen, war ihm ein Anliegen. Doch immer wieder hinderten ihn die Rahmenbedingungen daran, der eigentlichen Arbeit nachzugehen. Deshalb beschloss er, die vielfältigen Missstände in den Schulen nicht länger hinzunehmen und kündigte. An einem Abend im Oktober 2018 hockte er mit einer Gruppe zusammen, die sich einig war: Im Bildungsbereich braucht es bessere Lern- und Arbeitsbedingungen. Die sieben Anwesenden fassten den Entschluss, die Initiative "Schule in Not" zu gründen und mit der Forderung nach einer Rekommunalisierung der Berliner Schulreinigung zu beginnen.

Als erstes klapperten die Initiator*innen der Kampagne "Saubere Schulen" ein paar Dutzend Lehranstalten in ihrem Bezirk ab, sprachen mit Hausmeistern, Sekretärinnen, Eltern und Reinigungskräften und gewannen schon dadurch zahlreiche Mitstreiter*innen. Die für's Saubermachen Zuständigen klagten über zu wenig Zeit und unbezahlte Überstunden, Pädagog*innen, Eltern und Schüler*innen über schmutzige Klassenräume und Klos. Hausmeister erzählten von ständig wechselnden Ansprechpartnern und Firmen.

Outsourcing und Billigstanbieter

Bald kamen die Gewerkschaften beim "Bündnis für saubere Schulen" an Bord. "Wir fordern seit langem die Rekommunalisierung der Gebäudereinigung in Kitas, Schulen und Verwaltung", sagt Erich Mendroch, der bei ver.di für das Thema verantwortlich ist. Zuständig sind die Bezirke, die die Aufgaben in der Regel für zwei bis drei Jahre ausschreiben. Vor 20 bis 30 Jahren war die Reinigung öffentlicher Gebäude in Berlin nach und nach outgesourct worden. Damit begann ein Unterbietungswettbewerb – denn viele Vergabestellen entscheiden ausschließlich nach dem billigsten Angebot. Das ist zwar keineswegs zwingend. Ebenso wäre es möglich, Preis und Qualität je zur Hälfte in die Bewertung einfließen zu lassen oder die Qualität sogar höher zu bewerten. Doch in den Berliner Verwaltungen fehlt es an Fachpersonal, das die Angemessenheit der Angebote ausreichend beurteilen kann.

Ist es realistisch, wenn ein Unternehmen angibt, in einem Gründerzeitbau 140 Quadratmeter Sanitärräume pro Stunde zu reinigen – oder sind 65 Quadratmeter angemessener? Braucht es zur Fensterreinigung eine Hebebühne, die in dem einen Angebot einkalkuliert ist, im anderen aber fehlt? Kann es sein, dass die Mitarbeiter*innen einer Firma offenbar nie krank werden – jedenfalls keine Kosten dafür veranschlagt werden? Und schließlich: Wie dokumentiert man rechtssicher, wenn die vertragliche Leistung nicht erbracht wird?

Während beispielsweise in Hamburg Fachwirte für Gebäudereinigung in den Stadtverwaltungen solche Fragen beantworten können, fehlt den Berliner Vergabestellen derlei Expertise. Viveka Ansorge von der Firma ArbeitGestalten, die die Bezirke bei der Einführung von Tagesreinigung in öffentlichen Gebäuden berät, sagt: "In den Berliner Bezirksämtern findet ein verzweifelter Kampf gegen Schlechtleistungen statt." Schließlich stehen Schulen, Bezirksämter und Reinigungsdienste in einem Dreiecksverhältnis. Die Hausmeister können die Probleme nicht direkt mit den Firmen regeln, sondern sollen frühmorgens die Reinigung kontrollieren und Check-Listen ausfüllen.

"Das funktioniert so nicht und macht auch keinen Sinn. Und das Ergebnis ist für niemanden befriedigend", bilanziert Detlef Bading. Bis vor kurzem war der 58-Jährige Schulhausmeister in Neukölln, jetzt ist er Personalrat im Bezirk. Mit sieben verschiedenen Reinigungsfirmen hatte er in den acht Jahren Hausmeistertätigkeit zu tun. Die Konsequenz ist aus seiner Sicht klar: "Wir brauchen wieder eigene Leute."

"Das wäre ein Traum, im öffentlichen Dienst angestellt zu sein", sagt Veronika Schwarz* (Name geändert), die seit zwei Jahren im Bezirk Spandau als Schulreinigungskraft arbeitet. Zwar sei die aktuelle Lage wegen Corona etwas entspannter, weil die Schule weniger genutzt werde und es zusätzliche Stunden für Zwischendurchreinigungen gebe. Doch in normalen Zeiten sei das Pensum einfach nicht zu schaffen. Sie wäre gerne an der Schule geblieben, wo sie vorher sauber gemacht hat – und auch der Hausmeister hätte das gerne gesehen. Doch ihre alte Firma verlor die Ausschreibung, und der Nachfolgebetrieb hatte nur zwölf statt 24 Arbeitsstunden pro Tag angesetzt. "Nicht machbar", so Schwarz' Urteil.

Nun ist sie bei einer Firma angestellt, bei der sie ihren Vorgesetzten fast nie erreichen kann und wo sie um jede Putzmittellieferung betteln muss. Dass solche Organisation Kosten an anderer Stelle verursacht, steht für Schwarz fest: Bei der jährlichen Grundreinigung wurde ein aggressiver Reiniger verwendet, der den Boden angegriffen hat.

Es geht auch anders

09_saubere_Sache.jpg
"Uns stinkt's" – Demo gegen dreckige Schulen am 1.10.2019 in BerlinFoto: Christian Ditsch

In Düsseldorf ist es vor allem dank eines engagierten Personalrats gelungen, die Eigenreinigung wieder von 20 auf 50 Prozent zu erhöhen. Dabei wollte der Oberbürgermeister vor fünf Jahren sogar mehr Outsourcing. Doch Proteste über schmutzige Kitas und Schulen führten zu einer Diskussion über Qualitätsstandards. Fachleute wurden hinzugezogen und 2018 bekam der erfahrene Beamte Thomas Schröder den Auftrag, die Qualität zu verbessern und die Eigenreinigung zu stärken.

"Es ist wichtig in solchen Prozessen, die Zielsetzung zu definieren", sagt Schröder. Festgelegt wurde ein guter Reinigungsstandard, der kontinuierlich gehalten werden muss und etwa gleiche Kosten bei Eigenleistung und Fremdvergabe verursacht. Gegenwärtig läuft die Evaluationsphase. Dabei wird auch der Aufwand einkalkuliert, der durch Vergabe und Qualitätskontrolle entsteht. "Ende 2022 wissen wir Bescheid", so Schröder.

"Es geht ja nicht um einzelne schwarze Schafe, sondern um Systemfehler"
Philipp Dehne, Pädagoge & Gründer der Initiative "Schule in Not"

Vor ein paar Jahren fand in Mülheim an der Ruhr ein ähnlicher Prozess statt. "Dabei wurde ein Qualitätsvorsprung der Eigenreinigung festgestellt", berichtet der Betriebswirt Robert Kösling, der den Düsseldorfer Personalrat berät.

Die Kampagne "Saubere Schulen" hat inzwischen die Unterstützung von mehr als der Hälfte der Berliner Bezirksparlamente organisiert. Doch an der Umsetzung hapert es noch: Schulreinigung ist Bezirksaufgabe, neue Stellen zu schaffen wäre Sache des Landes. "Die Verantwortung wird hin- und hergeschoben. Wir fühlen uns wie ein Ping-Pong-Ball", so Dehne.

Immerhin: Alle drei Regierungsparteien – SPD, Linke und Grüne – haben das Thema in ihre Wahlprogramme aufgenommen. Für Dehne ist das aber erst der Anfang. "Es geht ja nicht um einzelne schwarze Schafe, sondern um Systemfehler. An den Schulen muss sich strukturell sehr vieles ändern", sagt der Pädagoge. Er hat sich entschlossen, erstmal nicht im Klassenraum weiterzumachen, sondern als Organizer für Gewerkschaften.

Infos zur Kampagne: schule-in-not.de