Fast ein Jahr lang gedauert hat der Tarifkonflikt bei der DB Direkt, die für die Deutsche Bank zwei Callcenter betreibt. ver.di hatte für die 650 Beschäftigten ab April 2020 sechs Prozent mehr Lohn sowie ein 13. Gehalt gefordert. Nach vier Verhandlungsrunden im letzten Jahr hatte der Arbeitgeber immer noch kein akzeptables Angebot vorgelegt. Deshalb hatten sich in einer Urabstimmung im Januar 94 Prozent der ver.di-Mitglieder bei der DB Direkt für einen Streik entschieden – unbefristetet! Unter Pandemie-Bedingungen einen Streik quasi im Homeoffice durchzuführen, war zweifellos eine mutige Entscheidung. Aber es gelang mit Online-Aktionen und Kommunikation in einem virtuellen Streikraum im wahrsten Sinne des Wortes Gesicht zu zeigen. Untermauert wurde dies durch coronakonforme Aktionen an den beiden Standorten Berlin und Essen. Zusammen mit Durchhaltevermögen und einem großen Engagement der ver.di-Mitglieder wurde dann nach 12 Streikwochen am 22. April 2021 ein Tarifabschluss erzielt, der sich sehen lassen kann: Die Kolleg*innen der DB Direkt erhalten in zwei Schritten 3,5 Prozent mehr Gehalt, das bislang fehlende 13. Gehalt wird bis 2025 stufenweise aufgebaut. Für Beschäftigte der untersten Gehaltsgruppe mit knapp 2.100 Euro brutto bedeutet das zusätzliches Geld in Höhe von fast 1.500 Euro allein für dieses Jahr.

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Norbert Reuter leitet die tarifpolitische Grundsatzabteilung bei ver.diFoto: Kay Herschelmann

Was lehrt uns dies? Vor allem, dass Arbeitgeber ihren Beschäftigten mehr vom wachsenden Kuchen nicht "einfach so" geben, sondern es immer in mehr oder weniger harten Auseinandersetzungen und unter hohem persönlichen Einsatz der Gewerkschaftsmitglieder erstritten werden muss. Und das selbst bei der Deutschen Bank, die 2020 trotz der Corona-Krise einen Gewinn von 624 Millionen Euro nach Steuern gemacht hat, ihren Investmentbankern Boni in dreistelliger Millionenhöhe und ihren Aktionären 113 Millionen Euro an Dividenden auszahlt. Auch leistet sich die Deutsche Bank insgesamt 684 Einkommensmillionäre – ein Rekord in der Finanzbranche.

Wenn alle den bequemen Weg des Trittbrettfahrens wählen würden, gäbe es keine Tarifverträge

Der Tarifabschluss bei der DB Direkt unterstreicht einmal mehr, dass sich Beschäftigte, für die ein Tarifvertrag gilt, deutlich besser stehen. Das gilt generell. Während seit 2000 die Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer*in in Deutschland lediglich um 47 Prozent gestiegen sind, wuchsen die Tariflöhne um 60 Prozent. Und das ist nur die finanzielle Seite. In Tarifverträgen werden darüber hinaus unter anderem auch Arbeitszeit und -bedingungen, der Urlaub, der Kündigungs-schutz, die Entgeltfortzahlung bei Krankheit, kostenlose Weiterbildungsmöglichkeiten, betriebliche Altersversorgung, Altersteilzeit oder die Möglichkeiten von Auszeiten geregelt. Zuletzt wurden die Aufstockung des gesetzlichen Kurzarbeitergeldes auf 90 oder gar 100 Prozent des Nettolohns tarifvertraglich vereinbart sowie steuerfreie Corona-Prämien des Arbeitgebers.

Eigentlich gelten tarifvertragliche Regelungen jeweils nur für Mitglieder der vertragschließenden Gewerkschaft. Denn sie sind es, die durch ihren Gewerkschaftsbeitrag und ihr Engagement, gegebenenfalls bis hin zum Streik, einen Tarifvertrag durchsetzen. Allerdings gewähren Arbeitgeber in der Praxis die Regelungen des Tarifvertrags allen Beschäftigten. Das schmälert für viele den Anreiz, Gewerkschaftsmitglied zu werden, sich zu engagieren und ein Prozent des Einkommens als Mitgliedsbeitrag zu zahlen. Nur: Wenn alle so denken würden und den einfachen Weg des Trittbrettfahrens wählen würden, gäbe es keine Tarifverträge und die Situation auf dem Arbeitsmarkt wäre für alle deutlich schlechter.

Aber es geht nicht nur um Solidarität. Wären mehr Beschäftigte Gewerkschaftsmitglied und würden sie sich so mit Gleichgesinnten für bessere Arbeitsbedingungen einsetzen, könnten noch bessere Tarifverträge für noch mehr Beschäftigte durchgesetzt werden. Leider verlassen sich immer mehr darauf, dass die Gewerkschaften es schon richten werden, und man weiter von ihren guten Tarifverträgen profitiert. So sind heute nur noch rund 16 Prozent der Erwerbstätigen Mitglied einer Gewerkschaft. 1950 waren es noch über 40 Prozent. Diesen Mitgliedern ist es zu verdanken, dass Tarifverträge immerhin noch für 53 Prozent der Beschäftigten in Westdeutschland und für 45 Prozent in Ostdeutschland gelten. Nur: Vor 20 Jahren waren es jeweils rund 20 Prozentpunkte mehr. Der Tarifkonflikt bei der DB Direkt hat da einmal mehr gezeigt, wie sinnvoll es ist, sich in einer Gewerkschaft zu organisieren und gemeinsam für bessere Bedingungen durch einen Tarifvertrag zu kämpfen. Jede*r ist aufgefordert – und herzlich willkommen.