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Tanja Chawla moderierte vom Homeoffice aus die Tarifrunde beim TÜVFoto: ver.di Hamburg

Der Druck auf diese TÜV-Tarifrunde war von Beginn an hoch. Im letzten Jahr war pandemiebedingt nur die Corona-Prämie abgeschlossen worden, die eigentliche prozentuale Erhöhung blieb offen - und die Erwartungen waren hoch. Nach sechs Verhandlungsrunden und insgesamt drei Streiktagen kam dann der ausgehandelte Kompromiss Ende Mai 2021 unter Dach und Fach: 6 Prozent im Volumen, aufgeteilt auf 24 Monate Laufzeit (Juli 2021 gibt es 2,7 Prozent und 200 Euro Corona-Prämie, ab April 2022 gibt es 3,0 Prozent mehr) und eine langfristige Absicherung und Erweiterung der ver.di-Vorteilsregelung für Mitglieder. Nicht alle waren dafür, über 65 Prozent haben schlussendlich aber für die Annahme des Tarifergebnisses gestimmt. Damit wird das Ergebnis in einen Tarifvertrag überführt.

Erst seit kurzem gibt es Streiks beim TÜV, Hessen war in diesem Jahr erstmalig dabei. "Früher wären Streiks in der TÜV-Welt undenkbar gewesen", sagt Marion Hilpert, Mitglied der Tarif- und Verhandlungskommission und Vertrauensleute-Sprecherin, TÜV NORD. "Es zeugt von zunehmender Abgestumpftheit auf Arbeitgeberseite, dass wir erneut zu diesem Mittel greifen müssen, um unsere Forderungen zu unterstreichen."

Kohle oder Kanaren

Die Themen der Beschäftigten sind vielschichtig: Da ist die Taktzahl der Prüfungen, die immer höher wird, die Verdichtung der Arbeit generell. Da ist der Wunsch nach mehr Arbeitszeitsouveränität, etwa mit Homeoffice, da geht es um sogenannte Stufensprünge in der Besoldung, um gerechtere Bezahlung und um die Wahlfreiheit zwischen mehr Geld oder mehr Freizeit – "Kohle oder Kanaren". Und da ist ein Gehalts-Unterschied zwischen TÜV Bund und den anderen, denn TÜV Süd und Rheinland haben andere Tarifverträge.

"Es gibt enorme Gehaltsunterschiede, die einen zahlen Weihnachtsgeld, die anderen Ergebnisbeteiligung, und es gibt große Unterschiede in den Tabellenwerten. Das alles müssen wir uns auf der Jahresgehaltsbasis anschauen in einer vergleichenden Studie", so Peter Bremme, der ver.di-Verhandlungsführer. "Wir befinden uns in Analyse und Prozess, denn wir wollen eine Angleichung erreichen. Daran arbeiten wir."

Dass die Mobilisierung für diesen Arbeitskampf überdurchschnittlich gut geklappt hat, lag vor allem daran, dass ver.di digitale Methoden optimal genutzt hat. Dabei konnte die Gewerkschaft auf das bereits in den Betrieben vorhandene Videokonferenzwesen aufsatteln. Das beherrschen die Beschäftigten seit Corona ohne Mühe.

Smileys und Herzen

"Mobi Dig" heißt das Zauberwort und meint digitale Mobilisierungskonferenzen. Diese Form ist in Corona-Zeiten besonders wichtig, weil gewerkschaftliche Aktivitäten in den Betrieben de facto unmöglich sind: Wem sollen Flugblätter verteilt werden, wenn fast alle im Homeoffice sind, oder wie soll bei digitalen Betriebsversammlungen eine gute, kämpferische Stimmung zustande kommen?

Gewerkschaftssekretärin Tanja Chawla von ver.di Hamburg übernahm in der TÜV-Tarifrunde den schwierigen Part der Moderation: Fast 1.000 Streikende nahmen bundesweit an der digitalen Streikkonferenz teil. "Überwältigend" sei dieser Online-Streik gewesen, sagt Chawla. "Er hat gezeigt, dass die Kolleg*innen in Pandemiezeiten handlungsfähig sind und dass Wellen von Emoticons, Smileys, Herzen und klatschenden Händen zu guten Tarifabschlüssen beitragen."

Auch drumherum lief vieles digital. Unter www.tuev-verdi.de konnten sich Beschäftigte und Interessierte aktuell informieren. Und es gab sogar einen betriebsinternen Intranet-Auftritt von ver.di – gewerkschaftliche Präsenz in der digitalen Welt.

Auch die Streikgeldbearbeitung lief über die Webseite und viele trugen sich digital in die Streiklisten ein – mit einem Nebeneffekt: Die Beschäftigten konnten sehen, wie viele schon dabei waren und das hatte Sogwirkung!

"Wir hatten eine eskalierende Streik-Strategie und die hat gewirkt: Vom analogen Streik zum Hybrid-Streik bis zum stay@home-Streik. Wir waren überrascht, wie viele bereit waren, digital zu streiken," resümiert Peter Bremme.

Die Deutsche Presseagentur und zahlreiche andere Medien berichteten über die Streiks beim TÜV und die Auswirkungen auf Fahrprüfungen und TÜV-Stationen.

"Von hanseatischer Zurückhaltung können wir glücklicherweise nicht sprechen. Mit unseren Hamburger ver.di-Mitgliedern und dem 'Rest der Welt' haben wir immerhin 1.400 Streikende dazu bewegt, Flagge zu zeigen und für angemessene Lohnerhöhungen einzutreten", sagt Marion Hilpert. "Das erreichte Verhandlungsergebnis bereitet jetzt schon den Boden für eine Anpassung der Gehaltsstufensystematik für die nächste Tarifrunde."