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Oliver Berg/dpa

Titel "Füreinander da sein", ver.di publik 4_2021

Ich bin seit mehr als 50 Jahren Gewerkschaftsmitglied und habe über 40 Jahre im Bereich der öffentlichen Infrastruktur berufliche Erfahrungen sammeln können. Mit dieser Vorbemerkung möchte ich auf den Artikel zur Bundestagswahl eingehen. In ihm werden die Themen der Bundestagswahl und die anstehenden Aufgaben zur Sicherung des Sozialstaates verwoben mit Begriffen wie Daseinsvorsorge und Infrastruktur, ohne inhaltlich zu erklären, dass eigentlich immer dasselbe gemeint ist, wenn man eine breite Definition im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge und öffentlichen Infrastruktur, der Bund, Länder und Gemeinden betrifft, zugrunde legt. Der Bund hat seine Hausaufgaben für einen funktionierenden Sozialstaat ebenso zu machen, wie die Verbesserung derjenigen Randbedingungen, die eine Modernisierung und den Ausbau der öffentlichen Infrastruktur auf Bundesebene erfordern. Aber der Großteil dieser Infrastruktur ist in kommunaler Hand, und da müssen gerade die Länder die Rahmenbedingungen verbessern. Da geht es dann um Gemeindewirtschafts- und Gebührenrecht, geeignete Organisationsformen und eine auskömmliche Finanzierung usw.. Für eine Modernisierung von öffentlicher Daseinsvorsorge/ Infrastruktur auf Ebene des Staates sind alle drei Ebenen anzusprechen und zu vernetzen. Das zeigt schon die Kompliziertheit und Komplexität bei der Modernisierung, vor allem wenn man einen funktionierenden, handlungs- und leistungsfähigen öffentlichen Sektor will. Ich bin immer dafür, Dinge klar zu benennen, die geändert werden sollten. Aber es gilt auch immer noch der Satz des chinesischen Philosophen Konfuzius:

"Wer die öffentlichen Zustände ändern will, muss zuerst bei der Sprache anfangen."
Otto Huter, per E-Mail

Füreinander da sein, bedeutet für mich auch, einen gut funktionierenden, modernen und barrierefrei ausgebauten öffentlichen Nahverkehr überall vorzufinden. Ich nutze Busse und Bahnen ständig und überall. ÖPNV bedeutet für mich auch eine Art der Daseinsvorsorge, der um so besser genutzt wird, wenn er attraktiv ist.

Ich finde, die Politik darf den attraktiven ÖPNV mehr fördern und anerkennen. Auch wenn das mehr Geld kostet.

Klaus Hoffmann, Bonn-Beuel

Thema "Lasst uns spielen", ver.di publik 4_2021

Ja, so geht's ja net! Sollen wir wirklich "kollaborales Arbeiten" wollen? Schaut doch mal nach im Duden-Fremdwörterbuch. Kollaboration ist die Unterstützung einer feindlichen Besatzungsmacht gegen die eigenen Landsleute. Mit diesem Neu-Sprech-Gebrauch verharmlost man völlig, was zum Beispiel in Frankreich während der Zeit der Besatzung durch die Nazis in dem Vichy-Regime bis 1944 vielen Menschen Angst, Gefängnis, Lager, Folter, Tod gebracht hat. Es scheint ja nur ganz normale Zusammenarbeit gewesen zu sein. Man entwertet im Gegenzug gleichzeitig den lebensgefährlichen Einsatz nicht weniger Menschen im Widerstand. Ich finde, in der Gewerkschaftsarbeit tut's auch Zusammenarbeit oder Kooperation.

Vanadis Geissbauer, Ludwigsburg

Thema "Gendersternchen", ver.di publik

An alle Menschen, denen es zu anstrengend ist, das Gendersternchen zu lesen und die sich in ihrem ästhetischen Empfinden gestört fühlen: "Frauen wurden Jahrhunderte verkauft, verheiratet, in Ehen versklavt, durften nicht erben, kein Vermögen anhäufen und hatten keine Rechte – bis zum späten 19. Jahrhundert, eigentlich erst zum späten 20. Jahrhundert. Das Recht, in der Ehe nicht vergewaltigt werden zu müssen, kam erst 1997. Diese Geschichte ist mit unserer Sprache verbunden, und deshalb kommen wir auch erst jetzt dazu, zu merken, dass wir auch sie ändern müssten, um wirklich gleichberechtigt zu sein." (Dr. Stevie Meriel Schmiedel) Ich finde, diese kleinen Unannehmlichkeiten im Lesefluss kann man ruhig in Kauf nehmen, um Frauen, inter*, trans* und nichtbinäre Personen mal ein wenig Ausgleich zu gönnen. Oder ist das wirklich zu viel verlangt? Ich bin mir aber sicher – und das ist mir ein Trost bei jedem neuen "Mimimi-das-Sternchen-stört"-Brief –, dass die Entwicklung nicht mehr aufzuhalten ist. Irgendwann wird es normal sein, dass alle in der Sprache sichtbar sind.

Jule Kühne, per E-Mail

Ich möchte mich hier zur Sinnhaftigkeit des inflationären Gebrauchs der verschiedenen Gender-Schreibweisen nicht näher äußern, um keine weiteren Pawlowschen Reaktionen der Gender-Ideologen auszulösen. Aber wenn in dem genannten Artikel schon Körperschaften des öffentlichen Rechts wie die Sozialversicherungsträger mit "Sozialversicherungsträger*innen" und "Renten- und Unfallversicherungsträger*innen" gegendert werden, zeugt dies von einer großen Portion Ignoranz und grenzt schon an Genderwahn.

Friedmar Pfeiffer, Leipzig

Thema "Arbeitssituation in der Weiterbildung"

Als Dozentin in der Erwachsenenbildung freue ich mich ganz besonders darüber, dass ein verstärktes Augenmerk nun auf die Arbeitsbedingungen in der Erwachsenenbildung gelegt wird. Ich habe sieben Jahre für die VHS als Dozentin im Bereich Sprach- und Integrationskurse gearbeitet. Bei 25 Unterrichtsstunden pro Woche (plus 10 Stunden Vorbereitung gratis) blieben mir netto ca. 800 Euro pro Monat. Irgendwann konnte ich dieses Missverhältnis nicht mehr aushalten. Ich arbeite lieber berufsfremd, als mich so behandeln zu lassen. Integrationskurse müssen laut Gesetz gegeben werden, sind dauerhafte Aufgaben und sollen Teilhabe an der Gesellschaft, am Arbeitsmarkt ermöglichen.

Dies gilt aber nicht für die Dozenten – sie können von ihrem Gehalt nicht leben.

Es ist keine Arbeit, die man so nebenher machen kann. Dieser Missstand muss geändert werden. Private Unternehmen sollen faire Arbeitsbedingungen bieten, aber was ist mit unserem Staat? Selbst Erzieher beschäftigt man vermehrt über Zeitarbeitsfirmen und beschneidet damit Arbeitsrechte, Bezahlung und pädagogische Kontinuität. Seit drei Jahren bin ich fest angestellt, kann aber immer noch nicht von meiner Arbeit leben. Der gesetzlich festgeschriebene Stundensatz von 17,60 Euro pro Stunde ist ein Skandal. Unterricht kann man nicht am Fließband machen. Mehr als 25 Stunden pro Woche sind qualitativ und menschlich nicht möglich. Leider zahlen die meisten nicht mehr. Zudem war ich auch genötigt, mindestens jährlich meinen Arbeitsschwerpunkt zu wechseln, da die Maßnahmen ausliefen. Es wird mindestens alle zwei Jahre neu ausgeschrieben, und der billigste Anbieter bekommt den Zuschlag, obwohl der vorherige Träger, also auch die Mitarbeiter, sich gerade richtig eingearbeitet haben und die Sache läuft. Kein Unterbietungswettbewerb mehr! Bindung der Vergabe an Tarifvertrag! Laufzeit mindestens drei Jahre! Nicht mehr als 25 Unterrichtsstunden bzw. Coachingstunden pro Woche für eine Vollzeitstelle (in Schulen sind 23–27 Unterrichtsstunden eine Vollzeitstelle, bei uns 39!). Der Staat stiehlt sich hier sehenden Auges aus seiner Verantwortung und spart auf unsere (zu 80% Frauen!) Kosten. Für uns ist nie Geld da (vergleiche Debatte um Mütterrente, Bezahlung von Verkäuferinnen und Pflegepersonal). Zusätzlich werden wir mit der unbezahlten Care-Arbeit (Kinder, alte Eltern, Haushalt) im Regen stehen gelassen. Gleichzeitig scheitern mehr als 50 Prozent der Ehen, nach drei Jahren gibt es keinen Unterhalt mehr. Man entsolidarisiert sich von uns, aber wir sollen weiter opfern und später zur Tafel gehen, wenn die Rente nicht reicht. So geht das nicht weiter!

Stephanie Koch, per E-Mail

Thema "Wir sind alle Ralf", ver.di publik 4_21

Viele englische Begriffe sind inzwischen allgegenwärtig und bedürfen keiner näheren Erläuterung mehr. Aber nicht jedem Leser sind die Begriffe "union busting" und "bash" geläufig (über die deutsche Konjugation einer englischen Vokabel lässt sich ohnehin streiten). Die erste Vokabel hätte kurz erklärt, die zweite durch deutsche Worte ersetzt werden können.

Ilona Buchheister, per E-Mail

Union Busting oder Bashing kommt aus dem Amerikanischen und bedeutet die systematische Bekämpfung, Unterdrückung und Sabotage von Arbeitnehmervertretungen. (Anmerkung der Redaktion)

Kommentar "Das war längst überfällig", ver.di publik 4_21

In Zeiten, wo selbst Millionäre höher besteuert werden wollen, weil sie befürchten, dass die soziale Schieflage sonst immer grösser wird und Unruhe aufkommt, die dem weiteren Vermögensfluss schaden könnte, lobt Kollege Hierschel "die wachsende Internationale für mehr Steuergerechtigkeit als Fortschritt".

Ja, wer hat denn in den letzten Jahrzenten den größten Niedriglohnsektor und Hartz 4 geschaffen und neoliberale Politik betrieben, Steuerflucht nicht verhindert, die Reichen immer reicher gemacht und dem Volk Almosen verabreicht? Kann es sein, dass es die SPD war?!

Wir von ver.di müssen endlich kämpferischer werden!

Es geht nicht nur um die Kosten der Pandemie. Die Infrastruktur unserer Städte liegt darnieder, wir brauchen einen effektiven, sozial verträglichen Klimaschutz,einen ausreichenden Mindestlohn, sichere Arbeitsverhältnisse, menschenwürdige Löhne und Renten. Privatisierungen müssen endlich gestoppt und die Betriebe in Gemeinwohl-Gesellschaften umgewandelt werden. Die Party ist vorbei, ihr Millionäre und Milliardäre! Das wäre eine gute Losung für ver.di und letztlich die einzige Lösung, wenn wir überleben und Chaos verhindern wollen.

Werner Montel, Hattingen