Ausgabe 05/2021
Nicht durchsetzungsfähig
Tarifverträge kann nur eine Arbeitnehmervereinigung schließen, die mit ihrer Durchsetzungskraft gegenüber den Arbeitgebern tariffähig ist. So begründete das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einem Beschluss am 22. Juni seine Entscheidung, wonach die "DHV – die Berufsgewerkschaft e.V." nicht tariffähig ist. Damit ist das höchste Arbeitsgericht dem Antrag von Gewerkschaften, unter anderem ver.di, gefolgt.
Nach dieser Entscheidung kann DHV keine Tarifverträge mehr abschließen – denn das setze, so das BAG in einer Pressemitteilung, voraus, dass "die Vereinigung über eine Durchsetzungskraft gegenüber der Arbeitgeberseite und eine hinreichende organisatorische Leistungsfähigkeit in einem zumindest nicht unbedeutenden Teil des beanspruchten Zuständigkeitsbereichs verfügt". Und diese "soziale Mächtigkeit" zeige sich in der Zahl der organisierten Arbeitnehmer*innen.
Kampf gegen Billigtarife
Die BAG-Richter bezweifelten die Tariffähigkeit jetzt auf Basis von DHV-Angaben. In der Pressemitteilung heißt es, die DHV verfüge nach eigenen Angaben über 66.826 Mitglieder in ihrem satzungsmäßigen Organisationsbereich, der etwa 6,3 Millionen Beschäftigte umfasse. Dies entspräche einem Organisationsgrad von einem Prozent. "Wie die gebotene Gesamtwürdigkeit ergibt, kann selbst bei Zugrundelegung der Angaben der DHV nicht prognostiziert werden, dass diese in ihrem eigenständig bestimmten Zuständigkeitsbereich über die notwendige mitgliedervermittelte Durchsetzungsfähigkeit gegenüber den sozialen Gegenspielern verfügt", so das BAG.
Die klagenden Gewerkschaften sehen sich damit in ihrer Rechtsauffassung bestätigt. Als einen wichtigen Schritt im Kampf gegen die Ausweitung von Billigtarifen wertete die stellvertretende ver.di-Vorsitzende, Andrea Kocsis den Richterspruch. Die Corona-Pandemie habe gezeigt, dass die Anforderungen an die Schlagkraft und Zukunftsfähigkeit der Gewerkschaften gestiegen seien, umso mehr müsse den Aktivitäten von Scheingewerkschaften entgegengetreten werden. Die DHV-Vereinigung habe in der Vergangenheit viele Gefälligkeitstarifverträge zulasten der Beschäftigten abgeschlossen, beanstandeten die am Prozess beteiligten Gewerkschaften.
Abschließender Beschluss
Das rund acht Jahre dauernde Verfahren geht auf einen gemeinsamen Antrag der Länder Berlin und Nordrhein-Westfalen sowie der Gewerkschaften IG Metall, Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), ver.di und dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) beim Arbeitsgericht Hamburg zurück. Die Hamburger Arbeitsrichter hatten bereits 2013 festgestellt, dass der DHV e.V. nicht tariffähig sei. Das BAG hat nun einen abschließenden Beschluss gefasst.
Die Vereinigung "DHV-die Berufsgewerkschaft" war 1893 als "Deutschnationaler Handlungsgehilfen-Verband", der keine Frauen und Juden aufnahm, gegründet und als Gewerkschaft der Kaufmannsgehilfen 1950 neu etabliert worden. Nach eigenem Selbstverständnis sieht sich die Vereinigung der Tradition der christlichen Soziallehre und dem Prinzip des Pluralismus verpflichtet und organisiert unter anderem Angestellte in Banken, Einzel- und Großhandel, bei Reiseveranstaltern sowie Rettungsdiensten.
Aktenzeichen 1 ABR 28/20